Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
einer besonderen Hütte im Dorf verweilen, fasten und Geist, Seele und Körper mit Liedern vorbereiten. Du darfst nicht schlafen. Als Erstes, bevor du zu singen beginnst, musst du in der Quelle baden. Nach dem Singen musst du dich neuerlich waschen, dich anziehen und, ohne mit jemand anderem zu sprechen, demütig zu ihm gehen, mit reinem Herzen oder reinem Begehr, das Wort lässt sich schwer übersetzen. Du musst eine Gabe mitnehmen; sie sagen, dass er es in der Regel vorzieht, Fleisch zu bekommen. Sie werden dir die Gabe auf die Schwelle der Hütte legen. Wenn du das alles befolgst, entscheidet er vielleicht, mit dir zu reden.«
»Wie finde ich den Weg?«
»Den beschreiben sie dir vorher. Sie meinen, er sei einfach zu finden.« Maerad nickte, und dachte, dass sie sich, wenn die Quellen heiß waren, tatsächlich ein Bad genehmigen könnte, eine Annehmlichkeit, die sie so lange nicht mehr genossen hatte, dass sie fast vergessen hatte, wie sie sich anfühlte. »Und beim Vorbereiten mit Liedern, müssen das besondere Lieder sein? Oder kann ich meine eigenen singen?«
Dharin fragte nach, was zu einem längeren Zwiegespräch zwischen den Dorfältesten führte. Schließlich sagte er: »Sie haben besondere Lieder für ihr Volk, aber sie denken, es wäre am besten, wenn du deine eigenen verwendest.« »Wann kann ich anfangen? Ich sollte mich so bald wie möglich vorbereiten.« »Du kannst in die Hütte gehen, wenn die Sonne morgen aufgeht. Bei Sonnenaufgang am Tag darauf kannst du Inka-Reb aufsuchen.«
»Das hört sich gut an«, meinte Maerad. »Aber was wirst du in der Zwischenzeit tun?«
»Ich habe reichlich Arbeit«, gab Dharin zurück. »Wir brauchen Fleisch. Die Dorfältesten haben mir erlaubt, ihre Jagdgründe zu besuchen.«
Eingedenk der Anweisungen zu ihrer Vorbereitung durch Lieder suchte Maerad ihre Leier heraus. Abgesehen von ihren Kleidern war das Instrument das Einzige, was sie in die Ritualhütte mitnahm. Bei der Hütte handelte sich um eine kleinere Ausgabe der Häuser des Dorfes, ebenfalls fensterlos, mit einer kleinen, mit zwei Lederschichten versehenen Tür und einem Kamin, durch den Rauch und Dampf abzog. Im Inneren befanden sich eine Öllampe, ein Steinsitz und ein Bad aus rauem Stein, in dem warmes Wasser blubberte. Maerad berührte es, um zu erkunden, wie heiß es tatsächlich war; es war angenehm warm. Mit wohligem Gefühl warf sie alle Kleider ab und kletterte hinein, konnte endlich den angesammelten Dreck mehrerer Reisewochen vom Körper waschen. Als sie genug hatte, kletterte sie aus dem Wasser, das von ihr auf den Steinboden tropfte, während sie dastand und sich fragte, wie sie sich abtrocknen sollte, zumal weit und breit nichts bereitlag, was an ein Handtuch erinnerte. Da es in der Hütte so warm war, nahm sie letztlich einfach auf dem Sitz Platz und wartete, bis sie von selbst trocken wurde. Danach schlüpfte sie in saubere Seidenunterwäsche, die sie seit Murask aufgespart hatte, und dachte über Lieder nach.
Es war lange her, seit Maerad zuletzt ausgiebig Musik gespielt hatte. Tatsächlich war es lange her, dass sie sich zuletzt überhaupt wie eine Bardin gefühlt hatte. Sie hob die Leier an, strich zart über die Saiten und bemerkte dabei, dass die Schwielen an ihren Fingern zurückgegangen waren, weil sie so lange nicht gespielt hatte. Die Leier gehörte ihr schon fast so lange, wie sie zurückdenken konnte. Davor hatte ihre Mutter sie besessen, was den Hauptgrund darstellte, weshalb Maerad das Instrument so liebte, wenngleich sie mittlerweile wusste, dass es auch aus anderen Gründen kostbar war.
Tja, dachte sie, wie soll ich anfangen ? Eine Zeitlang saß sie schweigend da und kramte im Gedächtnis ihres Körpers, in ihren Händen und in ihrem Herzen nach all den Liedern, die sie im Verlauf vieler Jahre gelernt und gehört hatte, und überlegte, welches sich am besten als Beginn eignete. Letztlich erkannte sie, dass die Antwort auf der Hand lag: Das Lied des Erschaffens, der erste Lied des Bardentums, das von der Entstehung Edil-Amarandhs berichtete. Sie schlug mit den Fingern die vertrauten Akkorde an und sang in der Hohen Sprache statt auf Annaren:
Im Anfang war das Dunkel, und die Finsternis war ganz Masse und ganz Maß, doch ohne zu fühlen,
Und die Finsternis war ganz Farben und ganz Formen, doch ohne zu sehen, Und die Finsternis war ganz Musik und aller Klang, doch ohne zu hören,
Und sie war ganz Duft und ganz Geschmack, sauer und bitter und süß,
Doch sie
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