Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
eine Art Eintopf kochte. Er drehte den Kopf, starrte Maerad an und erhob sich ganz langsam.
Eine lange Stille breitete sich aus. Maerad fragte sich, ob sie ihm einen Gruß entbieten oder warten sollte, bis er sie zur Kenntnis nahm. Als das Schweigen und die Stille sich schließlich so lange hingezogen hatten, dass ihre Nerven zu zerreißen drohten, ergriff sie das Wort. Ohne nachzudenken, verwendete sie die Hohe Sprache.
»Wirst du mit mir sprechen, Inka-Reb?«
Beim Klang ihrer Stimme stellten die Wölfe die Ohren auf. Maerad wurde bewusst, dass sie sich nicht danach erkundigt hatte, was mit jenen geschah, mit denen Inka-Reb nicht reden wollte. Wurden sie von den Wölfen gefressen? Vielleicht stammten die Gebeine auf dem Boden von all jenen, die das Pech hatten, die Prüfung nicht zu bestehen, worin auch immer sie bestehen mochte.
Aber Inka-Reb sprach mit ihr. Seine tief und flüssig klingende Stimme hallte durch die Höhle.
»Warum sollte ich mit dir sprechen, Tochter der Stimme? Was hast du mir zu sagen, das ich mir anhören sollte?«
»Ich weiß es nicht, Inka-Reb«, erwiderte Maerad. »Ich weiß nicht, was du gerne hörst. Dennoch hoffe ich, dass du deine Weisheit mit mir teilen wirst.« Darob lachte Inka-Reb. »Ich glaube, Tochter der Stimme, du hast mir nichts zu sagen. Geh, und ich befehle meinen Wölfen, dich nicht zu fressen.« »Nein«, entgegnete Maerad mit mehr Verwegenheit, als sie verspürte. »Ich werde nicht gehen. Du kannst doch noch gar nicht wissen, was ich dich fragen will.«
»Du gehst nicht?« Inka-Reb vollführte eine winzige Geste; das Wolfsrudel richtete sich langsam auf die Hacken auf, knurrte und bleckte die Zähne. Maerad bedachte die Tiere mit einem verängstigten Blick und schluckte.
»Nein. Ich habe etwas zu fragen, was sowohl deinem Volk als auch dem meinen helfen könnte. Ich bin weit gereist, um dich zu sehen. Ich werde nicht gehen, bis du mir antwortest.«
Das tiefe Knurren der Wölfe rollte durch die Höhle und brachte Maerads Beine zum Zittern. Sie hoffte, dass es nicht offensichtlich war. »Und deshalb drohst du mir?«, fragte Inka-Reb und zog die Augenbrauen zu einem finsteren Stirnrunzeln zusammen.
»Nein, ich drohe dir nicht.« Maerad leckte sich über trockene Lippen. »Ich bitte dich. Nicht nur um meinetwillen. Mein Leben ist klein und zählt nicht viel. Aber ich bin Elednor, die Feuerlilie von Edil-Amarandh, die Ausersehene, die Vorhergesagte. Und ich muss in Erfahrung bringen, was das Baumlied ist, wenn die Finsternis nicht neuerlich Einzug in dieses Land und viele andere halten soll.«
Inka-Reb hob eine Hand, und zu Maerads unaussprechlicher Erleichterung verstummten die Wölfe, legten sich auf den Boden und betteten die Köpfe auf die Vorderpfoten.
»Tatsächlich?«, meinte Inka-Reb. »Also warst du es, vor der mich die Toten in meinen Träumen gewarnt haben. Naja, vielleicht rede ich mit dir. Aber was hast du mir mitgebracht?«
»Ich - ich habe das hier mitgebracht«, antwortete Maerad und streckte ihm das Seehundfleisch entgegen. Inka-Reb betrachtete es kurz und nickte, näherte sich ihr jedoch nicht, um es zu ergreifen, wodurch er sie verunsicherte, ob er es angenommen hatte. »Ich wollte dich fragen … ob du weißt, was das Baumlied ist. Und wo ich es finden kann.«
Langes Schweigen breitete sich aus, während Inka-Reb sie mit ausdrucksloser Miene stetig musterte. Dann kam er auf sie zu, ergriff das Fleisch und kehrte zu seinem Kessel zurück.
»Ich glaube, du bist eine Lügnerin«, erklärte er. »Und ich wüsste nicht, weshalb ich mit einer Lügnerin sprechen sollte.«
Maerad war so verdutzt, dass sie ihn nur mit offenem Mund anstarrte. Dann hockte Inka-Reb sich mit niederschmetternder Verachtung hin, als wäre sie gar nicht da, und schürte das Feuer. Er hatte sie bereits entlassen.
Jäh strömte Maerad alles Blut in den Kopf, und sie verlor die Fassung. Ohne auf die Wölfe zu achten, die rings um sie in Lauerstellung gingen, um sie von Glied zu Glied zu zerreißen, ging sie auf Inka-Reb zu. Obwohl er hockte, war sie nicht größer als er.
»Ich bin unzählige Tage durch große Gefahren gereist, um mit dir zu reden. Und du behauptest, ohne mich überhaupt zu kennen, dass ich eine Lügnerin sei.« Maerads Stimme bebte vor Zorn, und vor ihren Augen schien ein roter Nebel zu schweben. »Ich habe meinen teuersten Freund verloren, der - der gestorben ist, damit ich zu dir gelangen konnte. Ich habe gelitten, geweint, mich geschunden und alles gegeben.
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