Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
erlernte die Sprach der Jussacks rasch, und im Verlauf der nächsten Wochen begannen sie, einfache Unterhaltungen zu führen. Obwohl ihre Gespräche stets von einer gegenseitigen, unterschwelligen Wachsamkeit begleitet waren, entstand zwischen ihnen etwas, das unter anderen Umständen vielleicht zu einer Freundschaft gewachsen wäre. So, wie die Dinge standen, blieb es bei einer Art stillschweigendem Bündnis.
Es war Maerads einziger Trost, sofern man ihre oft schwierigen und unbehaglichen Unterhaltungen als tröstlich bezeichnen konnte. Ihre Einsamkeit fühlte sich beinahe unerträglich an, und ihre geheimen Gespräche mit Nim bildeten den einzigen menschlichen Umgang, den sie hatte. Ein störrischer Wille festigte sich in ihr, je mehr ihr Körper langsam wieder an Kraft gewann, wenngleich sie durch das unablässige Aufbäumen gegen den Bann des Hexers stets müde war. Sie spürte kaum Macht in sich. Maerad empfand dies als seltsame Leere, als fehlte ihr ein Glied, dennoch leistete sie weiter Widerstand. Für sich selbst hegte sie mittlerweile keine Hoffnung mehr, trotzdem schien noch nicht alles verloren. Es gab immer noch manches, was sie tun könnte, auch wenn es fehlschlagen mochte. Unter Umständen wäre ein Fluchtversuch nicht gänzlich aussichtslos.
Was sie am meisten zurückhaben wollte, war ihr Bündel. Schon als sie gesehen hatte, dass die Jussacks Dharins Schlitten und Hunde mitgenommen hatten, war ihr klar geworden, dass ihr Gepäck noch irgendwo sein musste. Es enthielt alles, was auf dieser Welt für sie zählte, darunter ihre Leier. Als sie mit Nim redete, erzählte sie ihm, wie sehr sie sich nach Musik, nach ihrer Leier sehnte. Er starrte sie mit seinen fahlblauen Augen an.
»Womöglich willst du mich überlisten«, sagte er. »Ich weiß, dass du eine Hexe bist, und vielleicht hast du in dem Bündel etwas für deine Zaubersprüche.« »Nein«, entgegnete Maerad. »Eine Leier. Eine Harfe. Für Musik.« Sie summte eine Weise und hoffte, dass Nim ihr gebrochenes jussack verstand. »Von meiner Mutter. Meine Mutter ist tot.«
»Meine Mutter ist auch tot«, gab Nim zurück. Stumm überlegte er eine kurze Weile, dann holte er unter dem Wams einen runden Anhänger hervor. Er bestand aus schwarzem, polierten Stein. »Das hier hat ihr gehört.«
Maerad fühlte sich unerwartet bewegt, streckte die Hand aus und berührte den Anhänger mit einer Fingerspitze. »Schön«, sagte sie.
Nim betrachtete den Anhänger, dann steckte er ihn zurück unter seine Kleider. »Ich hole dir deine Sachen«, erklärte er. »Aber wenn du versuchst, damit einen Zauber zu wirken oder zu flüchten, werde ich getötet.«
Maerad sah ihn so unverwandt an, wie sie konnte. »Ich kann nicht flüchten«, erwiderte sie. »Und ich kann keine Zauber wirken mit meiner Leier. Ich will sie nur wiederhaben.« Während sie sprach, fühlte es sich an, als flutete Hunger in ihre Finger.
»Es ist dumm von mir, das zu tun«, stellte Nim fest. »Aber ich will es versuchen. Ich weiß nicht wieso, aber ich glaub nicht, dass du mich belügst. Vielleicht bist du aber auch nur eine gute Lügnerin.«
Maerad lächelte und musste an Inka-Reb denken. »Ein weiser Mann sagte, ich sei eine Lügnerin«, gab sie zurück. »Vielleicht hatte er recht. Aber ich lüge dich nicht an.«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Nim. »Ich bin ein schlichter Mann. Ich weiß nicht einmal, warum wir so weit reisen mussten, um dich zu suchen. Amusk hat den ganzen Weg die Runen befragt, um dich aufzuspüren. Ich glaube, du wirst zurück nach Arkan-da gebracht.«
Verwirrt schaute Maerad auf: Zum ersten Mal hatte sie gehört, wohin die Reise gehen sollte.
»Selbst ich kann erkennen, dass du mächtig bist, obwohl Amusk dich verhext hat. Ich habe noch nie gesehen, dass er sich vor jemandem gefürchtet hat, außer vor dir und dem Eiskönig. Wenn der Eiskönig dich haben will, musst du sehr mächtig sein.«
»Ich war mächtig, aber ich bin es nicht mehr«, entgegnete Maerad. Amusk fürchtete sich vor ihr? »Aber ich kann immer noch Musik machen. Vielleicht, wenn du mein Bündel bringst, spiele ich für dich ein Lied meines Volkes.« Nim seufzte. »Wenn du das tust, werden sie es hören, und ich werde bestraft«, erklärte er. »Aber ich würde gern ein Lied hören.« Er blickte auf seine Hände hinab und wirkte mit einem Mal äußerst schüchtern. Und Maerad nahm ihn plötzlich nur als Mann wahr, nicht als einen Jussack oder einen Feind. Zum ersten Mal in ihrem Leben jagte
Weitere Kostenlose Bücher