Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Spiegel neu erschaffen, geschweige denn den Baum.« Nerili nickte. »Das ist allerdings eine berechtigte Überlegung«, meinte sie. »Wir vertrauen dir als unserer Obersten Bardin«, sagte Elenxi mit Nachdruck. »Und wollen niemand anderen. Aber vielleicht sollte nächstes Jahr ein anderer Barde bei der Erneuerung helfen, falls dasselbe erneut geschieht. Ich kann den Baum auch erschaffen.«
Abermals nickte Nerili.
»Das erscheint mir sinnvoll«, tat Kabeka voll Überzeugung ihre Meinung kund. »Wir vertrauen dir voll und ganz, Nerili.« Die anderen Barden nickten. »Wir brauchen dich jetzt mehr denn je.«
»Die Finsternis erhebt sich«, meinte Cadvan mit gequälten Zügen. »Und zwar heimtückischer als beim letzten Mal. Ich frage mich, wie es den anderen Schulen beim diesjährigen Mittsommerfest ergangen ist. Treten sie in ein bemäkeltes Jahr ein, unerneuert, ungesegnet vom Baum des Lichts?« Alle Barden im Raum schauderte bei dem Gedanken.
»Lasst mich jetzt allein«, forderte Nerili die anderen auf. »Wir unterhalten uns morgen weiter, wenn wir uns alle ein wenig erholt haben. Nein, ihr beide bleibt, Maerad und Cadvan. Mit euch möchte ich noch etwas bereden.«
Die Barden von Busk verließen nacheinander Nerilis Zimmer. Beim Gehen küsste sie jeder auf die Stirn und drückte ihr die Hand. Maerad, die das Geschehen beobachtete, erkannte, wie sehr Nerili von den Barden geliebt wurde, denen sie vorstand. Plötzlich fühlte sie sich ein wenig bedrückt und setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers. Sie bezweifelte, dass sie je so geliebt werden würde.
Nerili schenkte sich etwas Wein ein und bot die Karaffe Maerad und Cadvan an. Maerad war bereits ein wenig schwindlig, weil sie seit Mittag nichts mehr gegessen hatte, dennoch genehmigte sie sich ein Glas.
»Tja, Cadvan, vielleicht beginne ich endlich zu verstehen.« Mit einem schiefen Lächeln sah Nerili ihn an. »Endlich, nach all der Zeit… Ich muss zugeben, dass ich nicht wusste, was du vor all den Jahren gemeint hast.«
Mit einer tief sitzenden Traurigkeit in den Augen schaute Cadvan auf, erwiderte jedoch nichts. Ein langer, inniger Blick wurde zwischen den beiden gewechselt. Maerad, die immer noch auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers kauerte, fühlte sich wie ein Störenfried bei einer vertraulichen Unterhaltung. Sie erinnerte sich, wie Cadvan ihr in Norloch offenbart hatte, dass er sich als junger Mann zu den dunklen Künsten hingezogen gefühlt hatte und dadurch einen schrecklichen Verlust erlitt; und sie dachte an seine Rastlosigkeit, sein Einzelgängertum. Nein, sie sah keine Möglichkeit, dass er bei Nerili hätte bleiben können, falls es das war, was sie gewollt hatte. Nerili haftete eine gewisse Schärfe an, eine unnachgiebige Willensstärke; sie war nicht jemand, die leicht vergab oder vergaß, wenn man sie verärgerte. Unbehaglich verlagerte Maerad das Gewicht auf dem Stuhl und wünschte, ihre Gedanken würden nicht um derlei Dinge kreisen.
»Ein Handstreich in Norloch - das ist schlimm, ja, sehr schlimm sogar, aber es durchdringt nicht das Herz«, meinte Nerili. »Aber das … das stößt in das Herz der Dinge vor, auf eine Weise, die ich nicht verstehe und nicht erwartet hätte. Zu spüren, dass ich den Baum des Lichts vergifte - ah, das ist eine schlimmere Qual, als ich sie je erfahren habe.«
»In jedem von uns schwelt Finsternis«, sagte Cadvan. »Aber wir haben alle die Wahl: Wir können uns ihr zuwenden wie Enkir, wie der Namenlose selbst vor vielen Jahrhunderten. Oder wir können uns ihr widersetzen, auch wenn dieser Widerstand nutzlos erscheint. Neri, du hast dich ihr mit aller Kraft widersetzt; mehr kann man von niemandem verlangen.«
Kurz entspannten Nerilis Züge sich, als wäre sie von Schuld freigesprochen worden, dann verhärteten sie sich wieder. »Ich werde von nun an wachsamer sein«, verkündete sie. »Es stimmt, dass wir hier in Thorold ein wildes und freies Volk sind und der Finsternis in uns vielleicht etwas mehr nachgeben als andere Barden, aber-«
»Ich halte das nicht für eine Schwäche«, unterbrach Cadvan sie. »Eher für eine Stärke.«
»Richtig«, pflichtete Nerili ihm bei. »Dennoch hat mir das heutige Erlebnis gezeigt, dass die Tür nur einen Spaltbreit offen zu stehen braucht, um Verderbtheit einzulassen.«
»Schließ sie trotzdem nicht«, forderte Cadvan sie eindringlich auf. »Das wäre der größte Fehler. Ich glaube, das ist der Fehler, den Enkir begangen hat: sich
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