Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
geringsten Ansatz von Freundlichkeit vermissen. Dennoch war Hared in Hems Augen kein schwacher Mensch; die vergangenen Tage der Ausbildung hatten ihn gelehrt, Hareds Strenge zu respektieren, die er bei sich selbst ebenso schonungslos anwandte wie bei anderen. Allerdings mochte es durchaus eine Art Blindheit sein. Zum erstenMal, seit er beschlossen hatte, für Hared zu arbeiten, fragte er sich, ob er wirklich das Richtige tat.
Saliman betrat das Zimmer und unterbrach Hems Grübelei. Sein Antlitz wirkte gräulich vor Erschöpfung.
»Ich hätte gern etwas davon«, sagte er und deutete auf den Pfefferminztee. Hem schenkte etwas davon in eine kleine Zinntasse ein und reichte sie Saliman, der sich seufzend setzte.
»Sie schläft«, ließ er Hem wissen. »Aber es war schwierig. Du hattest Recht, Hem, es war kein gewöhnliches Gift. Deshalb haben die Heilungen zuvor bei ihr nicht angeschlagen. Es gibt hier keine richtigen Heiler; das ist etwas, woran es den Menschen hier mangelt.«
»Irisanu ist nicht schlecht«, meinte Hem.
»Ja. Aber sie ist eine andere Heilerin als die meisten Barden; das ist nicht ihre besondere Gabe. Es gibt einige Dinge, die sie nicht zu vollbringen vermag.«
Eine Weile saßen sie behaglich schweigend beisammen und hingen jeweils den eigenen Gedanken nach. Dann richtete Hem sich auf.
»Saliman, am ersten Tag der Ausbildung ist etwas geschehen«, verriet er.
»Hm?« Saliman schaute auf. »Ich wollte dich schon fragen, wie du Hared als Lehrmeister findest. Er scheint recht zufrieden mit deinen Fortschritten, obwohl er es niemals sagen würde.«
»Naja, was ich meine, hat mit der Ausbildung eigentlich gar nichts zu tun. Und weißt du, ich bin nicht einmal ganz sicher, was geschehen ist. Vielleicht hatte ich nur eine Art - ich weiß auch nicht, eine Art Anfall… « Hem zögerte kurz, dann begann er zu erzählen, was sich in der Höhle Zugetragen hatte. Bei der Erwähnung des Baummannes setzteSaliman sich auf und fing an, ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. »… und dann hat er sich über mich gebeugt und geatmet. In mein Ohr. Und plötzlich war da diese Musik …« Stockend verstummte Hem, und Saliman wartete geduldig, bis der Junge die richtigen Worte fand. »Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll - es war, als wäre ich in der Musik und als wäre ich gleichzeitig die Musik. Es war so wunderschön, dass ich es kaum ertragen konnte, trotzdem wollte ich, dass es nie aufhört. Es war wie … alles. Wie der ganze Himmel, all die Sterne, die gesamte Erde samt Stein und Baum und Fluss - alles war Musik. Und etwas ist mit mir geschehen, Saliman. Ich weiß nicht genau, was, aber es fühlt sich so an, als hätte die Musik mich verändert. Sie ist in mich eingedrungen, und jetzt bin ich anders, sie ist irgendwie ein Teil von mir. Die Musik ist inzwischen ständig da, nicht nur, wenn ich davon träume. Wie das Gift in Nimikeras Blut, nur dass sie nicht schädlich ist.«
Stille breitete sich zwischen ihnen aus, und Saliman trank nachdenklich seinen Tee aus. »Ich bin ganz sicher, dass es kein Anfall war«, meinte er schließlich bedächtig. »Ich kann nicht behaupten, dass ich verstehe, was geschehen ist, Hem. Aber ich denke, du hast Recht damit, dass es ein Elidhu war, der zu dir gesprochen hat. Einst waren die Elementare in Suderain sehr gegenwärtig. Ich frage mich, welcher Elidhu es gewesen sein mag.«
Eine Weile versank er tief in Gedanken, und Hem beobachtete indes seine Miene. Saliman, dachte er plötzlich, ist ein wunderschö ner Mann. Wieso ist mir das bisher nie aufgefallen f Selbst wenn er trübsinnig und traurig ist, trägt er ein Licht in sich; es gleicht einer fröhlichen Melodie, die ständig da ist und durch die dunkleren Akkorde rings um sie umso klarer und überwältigender erstrahlt. Manchmal kommt es als Gelächter zum Ausdruck, weil er selbst gerne Menschen zum Lachen bringt, aber das ist nur der äußere Anschein. Die Menschen beginnen in seiner Nähe zu glühen. Ich glühe.
Hem schüttelte sich. Er war derlei Gedanken nicht gewöhnt.
»Und der Baummann sagte eine Schwester und ein Bruder?«, hakte Saliman schließlich nach. »Tja, Hem, mein Weistum sagt mir, dass du eine Rolle in dieser Geschichte zu spielen hast. Das Weistum eines Barden ist eine verzwackte Sache; es stellt sich nicht immer in Worten dar, und manchmal scheint es der Vernunft zuwiderzulaufen. Aber offenbar lag die Finsternis mit deiner Entführung nicht so falsch, wie wir dachten. Gewiss, es
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