Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
war hochmütig von ihr, Maerad außer Acht zu lassen, aber anscheinend hat dieses Rätsel zwei Hälften.«
Er bedachte Hem mit einem durchdringenden Blick, dann betrachtete er seine Hände. »Ich bin zwar nicht sicher, glaube aber, dass dieser Elementar ein Wesen namens Nyanar ist. Wie die meisten Elidhu zog er sich während der Großen Stille zurück; seit Hunderten Jahren liegen keine Berichte mehr über seinesgleichen vor. Und mittlerweile ist so vieles verloren gegangen und so vieles unmöglich zu verstehen.« »Also war er auf unserer Seite?«, fragte Hem.
»Die Elidhu stehen auf niemandes Seite, Hem. Unsere Belange sind für sie so bedeutungslos wie die ihren für uns, ausgenommen vielleicht die Frage des Baumlieds ich wünschte, ich wüsste, was es bedeutet. Du darfst nicht vergessen, dass die Elementare sich unserem Weistum und unserem Geheiß entziehen und gefährlich wie Feuer sind. Aber aus irgendeinem Grund brauchen sie dich, und das finde ich bemerkenswert. Offenbar besteht ein alter Groll ihrerseits gegen den Namenlosen. Viele Barden glauben, dass die Elidhu mit Sharma unter einer Decke stecken, weshalb man sie fürchtet und ihnen misstraut. Und es stimmt zweifelsfrei, dass einige unter seinen Einfluss gerieten: der Landrost beispielsweise, von dem Maerad sprach. Aber ich für meinen Teil habe nie geglaubt, dass sie alle seine Sklaven sind.« Langsam nickte Hem. Was Saliman sagte, beunruhigte ihn. »Um das Baumlied zu spielen, braucht es auch Musik, oder?«, fügte Saliman hinzu, schaute auf und lächelte. »Schau nicht so verdrießlich drein, Hem. Du und Maerad, ihr müsst auf dunklen Pfaden reisen, aber nur wenige können solche Pfade noch vermeiden. Und anscheinend sind wir nicht allein in unserem Kampf gegen die Finsternis. Darin liegt große Hoffnung.« »Ja, aber Hoffnung worauf?«, fragte Hem. »Auf ein Ende der gegenwärtigen Finsternis«, antwortete Saliman. »Darauf, dass ein Teil des Lichts unsere Zeit überdauert, selbst wenn es nur eine winzige, in einem tiefen Winkel versteckte Saat ist. Manchmal, Hem, ist Hoffnung etwas sehr Kleines.« Wieder verfielen die beiden in Schweigen. Dann lachte Saliman. »Erinnerst du dich noch daran?«, fragte er und begann zu Hems Überraschung einen Sprechgesang: »Eins für den Sänger, dem Licht verborgen, Zwei für den Sucher, vor Schatten fliehend, Drei für die Reise, in Gefahr begonnen, Vier für die Rätsel, im Baumlied gelöst… «
Unwillkürlich lächelte Hem: Dieses Lied hatte er nicht mehr gehört, seit er etwa se chs Jahre alt gewesen war. »Das ist nur ein alter Reim«, sagte er. »Wir haben ihn früher oft bei Spielen verwendet.«
»Viele vergessene Weisheiten sind in solchen alten Reimen erhalten. Ich frage mich, wer du bist: der Sänger oder der Sucher? Der Sucher vielleicht?«
»Aber ich suche doch nach gar nichts«, entgegnete Hem. »Maerad schon - sie sucht nach dem Baumlied.«
»Stimmt; obwohl man auch etwas suchen kann, ohne es zu wissen. Na ja, jedenfalls bin ich froh, dass du mir das erzählt hast, Hem. Es gibt mir Hoffnung. Aber du hast Recht: Ich bin selbst nicht ganz sicher, worauf.« Hem erinnerte sich an die Wildheit des Elidhu, an seine unmenschlich geschlitzten Augen. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass eine solche Kreatur dieselben Dinge wollen könnte wie er. Aber selbst eine ungewisse Hoffnung war besser als keine. »Hem, bevor ich es vergesse«, sagte Saliman plötzlich und griff in seine Gewänder. »Ich muss dir etwas geben.« Er holte einen versiegelten Brief hervor.
»Ein Brief?« Ungläubig starrte Hem den Barden an. »Für mich?«
»Ein Pilanel-Bote hat ihn heute Morgen gebracht«, erklärte Saliman. »Er kommt von den Pilanel im Norden. Sie unterhalten ein äußerst wirkungsvolles Netzwerk, das sich bis nach Suderain erstreckt, und der Widerstand bleibt so gut wie möglich mit ihnen in Verbindung; sie sind treue Verbündete.«
Hem starrte immer noch mit offenem Mund auf den Brief.
»Nur zu«, forderte Saliman ihn auf. »Öffne ihn. Er ist mit dem Zeichen höchster Dringlichkeit versehen.« Er deutete auf eine seltsame, mit roter Tinte geschriebene Rune neben dem Siegel.
Mit zitternden Händen brach Hem das Siegel und faltete den Brief auseinander. »Er ist von Maerad«, verkündete er.
»Kannst du ihn lesen, Hem?«, fragte Saliman. »Oder soll ich ihn dir vorlesen?« »Nein, ich kann ihn lesen.« Er betrachtete die Buchstaben, die mittlerweile ein wenig Sinn für ihn ergaben, und begann, den Brief laut
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