Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Bei diesem Spiel stellte er sich wesentlich geschickter an als Zelika, und einmal, nachdem Hem siedrei Mal hintereinander überrumpelt hatte, beschuldigte sie ihn des Schummelns. Hem zeigte sich darüber erbost, und nur Hareds scharfer Tadel verhinderte, dass sie in handfesten Streit gerieten.
Es gab auch Lektionen, die Hem alleine lernte und die er, wie er feststellte, am meisten genoss, nicht zuletzt, weil ihm dadurch Zelikas ständiges Wettkampfdenken erspart blieb. Bei jenem Unterricht brachte Hared ihm die wichtigsten Zauber des Verbergens und der Tarnung bei: den Glimmerschleier, der beobachtende Augen abwies; die Kunst von Schattenlabyrinthen, mit der man Spuren verwischte und schwierig zu verfolgen machte; verschiedene Arten magischer Schilde, um den verräterischen Schimmer der Bardenmagie vor Untoten zu verbergen; und die Gabe, Ebenbilder zu erschaffen, die sich dazu verwenden ließen, einen Feind in die Irre zu führen. Hem erwies sich bei diesen Zaubern als gelehrig, beherrschte sie bald und überraschte Hared sogar, als er ihm den schwierigen Tarnbann vorführte, den Saliman ihm vor langer Zeit in Turbansk beigebracht hatte; es war das einzige Mal, dass Hem Hared aufrichtig beeindruckt erlebte.
Doch worauf Hem eigentlich wartete, war eine Gelegenheit, an die Oberfläche zu gelangen. Er hatte angefangen, sich inständig nach Sonnenlicht und Wind zu sehnen; abends, bevor er einschlief, versuchte er, sich daran zu erinnern, wie es sich anfühlte, unter offenem Himmel zu wandeln. Es schien ihm Jahre her zu sein, dass er zuletzt Sterne gesehen hatte. Aber Hared bildete sie weiter in der unterirdischen Stadt aus und ließ kein Wort von einem bevorstehenden Aufbruch vernehmen. Sie arbeiteten lange, eintönige Stunden, wiederholten immer und immer wieder dieselben Übungen, bis sie sich gänzlich bedeutungslos anzufühlen begannen. Eingedenk Salimans Bedingung, dass er sie nicht für Hared arbeiten lassen würde, wenn dessen Bericht nicht hervorragend ausfiele, verkniffen sie sich jegliche Beschwerden. Irc langweilte sich noch mehr als die Kinder, dennoch bewahrte er sein ungewöhnlich gesittetes Benehmen, wenngleich dies eine Menge Bestechung seitens Hem bedingte. Sie alle hatten genug von der Dunkelheit.
Einige Tage sprach Hem mit niemandem über den Baummann. Teilweise lag es daran, dass ihre Ausbildung den Großteil ihrer Zeit in Anspruch nahm: Hared widmete seine gesamte Aufmerksamkeit den Kindern. Es war unübersehbar, dass er die Arbeit mit ihnen für wichtig hielt, für genauso wichtig wie seine zahlreichen anderen Pflichten denn Hared war viel beschäftigt, und unter den Barden aus Nal-Ak-Burat herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Als die Tage verstrichen und Hems Erinnerung an seine Begegnung mit dem Baummann hinter seine alltäglichen Tätigkeiten zurückwich, beschlichen den Jungen zunehmend Zweifel, und er vermeinte, er könnte doch eine Art Anfall erlitten und sich den ganzen Vorfall unter dem Einfluss der seltsamen Stimmung, die in der Höhle herrschte, lediglich eingebildet haben. Und wie dem auch sein mochte, er wusste ohnehin nicht recht, wie er die Erfahrung in Worte fassen sollte. So viel davon, besonders jener Teil, als ihm der Baummann ins Ohr gehaucht hatte, überstieg seinen Wortschatz. Manchmal erwachte er mit einem Gefühl des Verlustes aus Träumen, in denen er sich wieder im Odem jener Musik befunden hatte, hineingestoßen in jene unendliche, unerträglich schöne Harmonie; doch auch dafür besaß er keine Worte.
Mit Zelika versuchte er nicht zu reden, zumal sie schlicht annahm, dass Hem ohnmächtig geworden war und wirres Zeug geredet hatte, als er zu sich kam. Er fürchtete sich zu sehr davor, dass sie ihn auslachen würde. Der Einzige, dem er genug vertraute, um darüber zu reden, war Saliman, und es war schwierig, mit ihm Zeit alleine zu verbringen, ohne dass Zelika hellhörig wurde. Doch Hem stellte fest, dass er immer wieder über den Baummann nachgrübeln musste. Wie ihm mittlerweile auffiel, gab es in ganz Nal-Ak-Burat Zeichnungen von ihm. Wenn er Gelegenheit dazu hatte, betrachtete er sie neugierig. Wer war der Baummann? Wie lautete sein Name? War er eine Art Elementar, ein Elidhu? Hatte ihm das Volk von Nal-Ak-Burat vielleicht einst so gehuldigt, wie laut Zelika manche Menschen im Süden das Licht angebetet hatten?
Maerad hatte Hem erzählt, dass in ihren Adern Elementarblut flösse; ihren Worten zufolge hatte sie sogar mit Ardina gesprochen, einer Elidhu des
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