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Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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dachte, er sei von Sinnen. Aber er war ohnehin nicht sicher, ob ihm danach zu Mute war, über das zu reden, was sich gerade ereignet hatte. »Egal. Etwas ist geschehen, das ist alles. Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet.« Er sah sich in der Kammer um; das Gefühl, beobachtet zu werden, war gänzlich verflogen. Nun war es nur noch ein leer stehender Raum. »Hast du etwas gefunden?« »Nein.«
    In jenem Augenblick hörten sie draußen Hared, der nach ihnen rief. Zelika begegnete Hems Blick.
    »Er ist zurück«, sagte sie. »Dieses Wiesel. Naja, ich fürchte, wir dürfen ihn weder erdrosseln, noch uns beschweren, sonst bestehen wir den Test nicht.«
    Hem lachte und stand auf. Seine Knie zitterten ein wenig, doch abgesehen davon plagten ihn keine Beschwerden. Fast konnte er glauben, eine Art Wahnvorstellung durchlebt zu haben; er erinnerte sich daran, wie fiebrige Kinder im Waisenhaus alle möglichen schrecklichen Visionen gehabt hatten. Aber irgendwie schien ihm, dass es sich doch um etwas anderes gehandelt hatte. Gemeinsam gingen sie hinaus auf den Hof, wo Hared sie mit einer Wasserflasche aus Leder erwartete. Nach jenem Tag brauchte niemand mehr Hem und Zelika zu sagen, dass sie auf alles vorbereitet sein müssten. Sie hatten stets jeweils eine Wasserflasche und zumindest ein Stück Fladenbrot und etwas getrocknetes Obst dabei. Hem erkundigte sich, ob auch Irc ausgebildet werden könnte, denn, so meinte er, Irc könnte eine unschätzbare Hilfe sein; zu seiner Überraschung willigte Hared nach anfänglichem Murren ein. Irc zeigte sich ungewöhnlich gesittet, wenn er die Kinder begleitete, ein sicheres Maß für Hareds Befehlsgewalt.
    Sie beendeten jeden Tag erschöpft, nicht unbedingt, weil sie körperlich anstrengende Arbeit verrichteten, sondern weil Hared ständig ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit forderte. Sie wussten nie, was von ihnen erwartet werden würde. Mehrere Male verbrachten sie den ganzen Tag mit Gedächtnisspielen. Hared legte dabei mehrere Gegenstände auf den Tisch, ließ ihnen kurz Zeit, sie zu betrachten, und verhüllte sie anschließend mit einem Tuch. Danach sollten die Kinder alle Gegenstände nennen, die sie gesehen hatten, und zwar in der Reihenfolge, wie sie von links nach rechts auf dem Tisch lagen. Hared ließ sie erst gehen, wenn sie sich mehr als drei Mal hintereinander richtig daran erinnerten; und natürlich wurden die Ergebnisse umso schlechter, je müder sie wurden. Doch ihr Lehrmeister erwies sich als gnadenlos.
    An einem anderen Tag führte er sie in eine Kammer tief im Palast, schloss die Tür und löschte die Lampe, sodass sie alle in völliger Finsternis standen. Dies war ein weiteres, düstereres Spiel, das Hared als >Schattenjagen< bezeichnete. Das Ziel bestand darin, sich hinter einen der anderen zu schleichen, ohne bemerkt zu werden. Hem war dabei nicht gestattet, sein Bardengehör einzusetzen: Schließlich ging es darum, sich so leise wie möglichzu verhalten und gleichzeitig die körperlichen Sinne zu höchster Empfindlichkeit zu schärfen. Wenn es jemandem gelang, die Hände um den Hals eines anderen zu legen, hatte derjenige gewonnen.
    Hem empfand das Schattenjagen als überraschende Nervenbelastung. Er stand dabei stets starr vor Wachsamkeit in der Dunkelheit und hörte bald ein leises Atemgeräusch, spürte bald einen Luftzug oder nahm bald einen Hauch von Hareds Schweiß- oder Zelikas Moschusgeruch wahr. Bis sie mit diesem Spiel begonnen hatten, war ihm nicht klar gewesen, dass er ihre Gerüche kannte. Er lernte, wie man völlig still stand, wie man seinen Atem geräuschlos werden ließ, wie man sich langsam und sicher in der Dunkelheit fortbewegte, indem man alle Muskeln in den Füßen einsetzte, um den Boden zu ertasten, wie man den Luftzug rings um den eigenen Körper verringerte. Oft schlich er eine scheinbare Ewigkeit durch die Dunkelheit, bis er überzeugt davon war, einen Körper höchstens einen Schritt vor sich zu haben, musste jedoch feststellen, dass er sich dessen Gegenwart nur eingebildet hatte. Und wenn Hared die kalten Hände um seinen Hals legte, was häufig geschah, fuhr Hem vor Schreck jedes Mal fast aus der Haut.
    Als es ihm zum ersten Mal gelang, Hared zu fassen, sah er in den Augen des Barden eine verkniffene Freude. Danach fiel es Hem allmählich leichter; er erkannte, dass er ein innewohnendes Gespür für die Gegenwart eines Körpers besaß, das er in einen Sinn zu schmieden vermochte, der beinah so nützlich wie seine Sicht war.

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