Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
ihm brannte die Frage auf der Zunge, was Saliman widerfahren war, doch er wusste nicht, wie er sie stellen sollte. »Ich bin müde«, antwortete Saliman. »So unglaublich müde. Und zutiefst betrübt. Aber ja, es geht mir gut.«
»Was ist geschehen?« Die Worte platzten regelrecht aus Zelika heraus. Mit vor Ungeduld funkelnden Augen beugte sie sich vor. »Es ist doch etwas geschehen, oder? Ist II Dara gefallen?«
Bevor Saliman antwortete, durchquerte er den Raum und schenkte sich einen Kelch rubinroten Weins ein. Er bot auch Hem und Zelika davon an, doch sie lehnten naserümpfend ab; sie waren beide noch nicht auf den Geschmack der starken Weine Suderains gekommen. Saliman setzte sich und trank einen ausgiebigen Schluck. »Ah, schon besser«, seufzte er. »Wenn die Zunge noch in der Lage ist, solche Fülle zu genießen, ist nicht alles verloren. Ihr beide wisst ja gar nicht, was euch entgeht.« Er lächelte, was die Furchen in seinen Zügen abschwächte; kurz wirkte er wieder mehr wie der alte Saliman. Hem und Zelika warteten gespannt, händeringend, konnten es kaum erwarten zu hören, was ihm widerfahren war, und wollten ihn andererseits nicht bedrängen. Saliman nippte erneut an seinem Wein und musterte die Kinder. »Verzeiht«, sagte er. »Ich habe den ganzen Nachmittag im Ernan geredet und seit zwei Nächten nicht geschlafen. Trotzdem will ich euch erzählen, was sich ereignet hat - ihr habt ein Recht, es zu erfahren. Du hast Recht, Zelika: Der Wall von II Dara ist gefallen. Ich bin hart geritten, um hierher zu gelangen; mein Pferd ist schnell, und unsere Streitkräfte am Wall sind nicht völlig aufgerieben. Noch im Rückzug bekämpften sie die Schwarze Armee auf jedem Schritt des Weges nach Turbansk. Dennoch schätze ich, dass die Stadt in einem Tag oder noch früher umzingelt sein wird.«
Hem fühlte sich, als wäre ihm das Herz aus der Brust gerissen worden und an dessen Stelle eine gähnende Leere zurückgeblieben. Zwar waren es die Neuigkeiten, die er erwartet hatte, dennoch trafen sie ihn hart. Er leckte sich die Lippen: Sein Mund fühlte sich mit einem Schlag trocken wie Pergament an.
»Wir wussten, dass der Wall den Streitkräften nicht standhalten könnte, die ihm entgegen geschleudert wurden, dennoch hatten wir gehofft, ihn länger zu halten, als es letztlich der Fall war«, fuhr Saliman fort. »Ich bin dorthin gereist, weil uns die Kunde erreicht hatte, dass Al Ronin, der Hauptmann der Soldaten von II Dara, getötet worden war - was eine schlimme Nachricht war, denn er war ein großer Krieger, und wir hatten bei der Verteidigung von Turbansk auf ihn gezählt. Darüber hinaus meldeten die Soldaten, dass sie verzweifelt seien, weil sie einen Feind zurückschlügen, der endlos wie die Wellen eines Meeres heranbrandete und dessen Stärke sich durch keinen unserer teuer errungenen Siege schmälern ließ. Ich habe eine Streitkraft aus drei berittenen Reihen der Sonnengarde zum Wall geführt - nicht annähernd genug, doch alles, was wir erübrigen konnten, denn wir fürchteten, dass die Schwarze Armee uns noch überraschen könnte. Schließlich hätte Imank ein Bataillon entsenden können, das von Baladh aus nach Norden marschieren, die Neera-Sümpfe umgehen und entlang der Südstraße zurückkehren sollte, um Turbansk anzugreifen, während wir uns bei der Verteidigung des Walls von II Dara verausgabten. Nun«, meinte Saliman mit einem müden Lächeln, »das hätte ich an Imanks Stelle getan. Aber es liegen keine Meldungen von Truppenbewegungen entlang der Südstraße vor, und wir müssen dankbar für die kleinen Gnaden sein, die uns gewährt werden. Bei der Schlacht um den Wall sahen sich unsere Streitkräfte der geballten Macht der Schwarzen Armee gegenüber: Tausende und abertausende Soldaten stürmten gegen den Wall, in Reihen so tief, dass man selbst von den Türmen aus ihr Ende nicht zu erkennen vermochte. Wir mussten den Wall eine Wegstunde breit abdecken, auf beiden Seiten bis hinein in die Neera-Sümpfe, durch die eine Armee nicht marschieren kann, und obendrein mussten wir die Straße schützen, die am südlichen Ende durch ein Tor verläuft. Auf der Ostseite hatten wir einen tiefen Graben ausgehoben und mit Pfählen gespickt, gefolgt von einem weiteren Graben auf der gegenüberliegenden Seite, um zu verhindern, dass die Armee den eigentlichen Wall erreicht.
Bevor er hingemetzelt wurde, wehrte Al Ronin die Schwarze Armee fünf Tage lang ab. Hunderte starben in jener Zeit, aber nur sehr wenige
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