Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
einem richtigen Albino keine roten Augen. Seine Netzhäute waren stattdessen ineinem tiefen Goldton gefleckt, sein Schnabel war schwarz. Er besaß die angeborene Klugheit seiner Art und die Vorliebe einer Elster für glänzende oder glitzernde Gegenstände; Hem war nicht in der Lage gewesen, ihn von seiner Gewohnheit abzubringen, aus den Speisesälen kleine Silberlöffel zu stehlen, von denen er mittlerweile eine beeindruckende Sammlung angehäuft hatte. Durch sein ständiges Beisammensein mit Hem verfügte Irc über einen wesentlich breiter gefassten Wortschatz als die meisten Vögel, und die Barden in den Heilhäusern stellten fest, dass sie ihm zunehmend umfassendere Botschaften anvertrauen konnten.
Die Patienten in den Heilhäusern prägten einen Namen für den seltsamen Jungen: Aufgrund seiner helleren Haut und der Krähe, die so oft auf seinen Schultern hockte, nannten sie ihn Hos Hlaf, die Weiße Krähe. Hem lächelte, als er dies hörte und daran denken musste, dass dieselbe Bezeichnung einst als Beschimpfung verwendet worden war; nun, aus dem Munde der verwundeten Männer und Frauen, um die er sich kümmerte, erschien es ihm wie ein Ehrentitel.
Saliman kehrte nicht, wie er es versprochen hatte, am zweiten Tag nach seiner Abreise zurück. Hem und Zelika sprachen nicht darüber, aber sowohl er als auch sie wussten, dass sie beide auf ihn warteten. Als sie nach Hause kamen, sahen sie als Erstes nach, ob Saliman zurück war - doch sie fanden seine Gemächer verwaist vor. Die wenigen Barden, die noch im Haus weilten, waren sehr häufig unterwegs, und am zweiten Abend bereiteten die Kinder das Abendessen selbst zu und aßen alleine. Statt in den Speisesaal begaben sie sich dafür in Salimans Gemächer, weil es sich dort weniger einsam anfühlte. Unterhaltungen blieben spärlich, weil beide nicht über das sprechen wollten, was sie am meisten beschäftigte: ob sie mit den Schiffen aufbrechen sollten, die am nächsten Abend die Verwundeten aus Turbansk befördern würden.
Natürlich hatte Hem versprochen, dass er auf Saliman hören würde, doch er fand es zunehmend schwerer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, sein Versprechen einzulösen. Wenn Saliman am nächsten Tage nicht zurückkehrte und Hem aufbräche, würde er nie erfahren, was aus dem Barden geworden war, ob er tot oder in Gefangenschaft war oder sich nur verspätet hatte. Hem glaubte nicht, dass er es ertragen könnte, es nicht zu erfahren, und zerbrach sich insgeheim den Kopf darüber, ober doch bleiben sollte, und sei es nur ein wenig länger … gewiss könnte ein zusätzlicher Tag nicht als Bruch seines Versprechens betrachtet werden. Zelika hing ihren eigenen Gedanken nach.
Nach dem Abendmahl waren beide so erschöpft, dass sie sich geradewegs ins Bett begaben, wenngleich Hem noch lange wach lag, während sein Körper vor Müdigkeit pulsierte und ihm die schrecklichen Anblicke, die er während des Tages gesehen hatte, immer und immer wieder durch den Kopf gingen. Was, wenn Saliman vom flüssigen Feuer der Hundsoldaten verbrannt worden war? Oder vielleicht war er von einem der schwarzen Pfeile geblendet worden. Schlimmer noch, viele davon waren mit einem grässlichen Gift versetzt, das verhinderte, dass Wunden heilten … Unruhig glitt Hem in schlimme Träume, an die er sich nicht erinnern konnte, jedoch einen dunklen Nachhall hinterließen, als er erwachte.
Amnächsten Tag fühlte Hem sich so niedergeschlagen, dass er es kaum aus dem Bett schaffte. Er wusste sofort, dass Saliman immer noch nicht zurück war; die ganze Nacht hatte ein Teil seines Geists darauf gelauscht, ob die Tür sich öffnete oder vertraute Schritte durch das Haus hallten. Beim Frühstück vermieden er und Zelika es, einander in die Augen zu sehen; beide wussten, dass sie um die Mittagszeit entscheiden müssten, was sie tun würden, wenn Saliman bis dahin nicht zurück wäre. Schweigend begaben sie sich zu den Heilhäusern und arbeiteten den ganzen Tag mit leidenschaftlicher Hingabe; über Nacht waren weitere Verwundete aus II Dara eingetroffen, und die Heiler trafen Vorbereitungen, um die schlimmsten Fälle so bald wie möglich zum Hafen zu bringen. Hem verbrachte den Vormittag damit, Besorgungsgänge zu erledigen und den leichter Verletzten zu helfen, bis Oslar sein abgezehrtes Gesicht betrachtete, ihn gestreng zum Bardenhaus zurückschickte und darauf bestand, dass er eine ordentliche Mahlzeit essen müsse. Hem traf Zelika beim Kräuterkundler, und gemeinsam begaben sie
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