Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
wandelten die Dinge sich zum Schlechten. In jener Nacht öffnete sich hinter uns ein Tunnel, den wir nicht bemerkt hatten, und heraus strömte mindestens eine Kompanie Untoter und Hundsoldaten - und wenngleich es uns unter großen Verlusten gelang, sie zurückzuschlagen und den Tunnel zu blockieren, erkannten wir allmählich, dass wir den Wall nicht würden halten können und es besser wäre, sich geordnet zurückzuziehen als in wilder Flucht. Aber wir hatten uns noch kaum zum Rückzug formiert, als sie das Tor durchbrachen. Ich weiß nicht, welche Hexerei dessen Schutzzauber aufzuheben vermochte, hingegen weiß ich mit Sicherheit, dass die Macht keines lebenden Barden an die jener heranreicht, die den Schutzzauber des Tores einst woben. Daher fürchte ich umso mehr die üble Hexerei, die gegen Turbansk zum Einsatz gebracht werden wird; ich bezweifle nicht, dass Imank bisher höchstens ein Zehntel jener Geschütze gegen uns aufgefahren hat…Jedenfalls verließ ich die Schlacht und ritt hierher, schneller als man es einem Pferd zumuten kann, damit ich die schlimme Kunde so früh wie möglich überbringen konnte; dennoch folgte mir der Sturm auf den Fersen, und schon bald werden wir alle uns mitten darin befinden.«
Stille trat ein. Hem blickte auf seine Hände hinab und bemerkte, dass sie zitterten. »Ich - ich weiß nicht, wie es bei einer Schlacht ist«, sagte er. »Ich habe zwar schon Kämpfe gesehen, auch Untote und Ähnliches, aber nichts so Großes … All das hört sich so groß an …« Er wollte zum Ausdruck bringen, dass er Angst hatte, doch er glaubte, wenn er es täte, würde Saliman ihn wegschicken, und so sehr er sich vor dem Krieg fürchtete, davor fürchtete er sich noch mehr.
»Ich weiß, wie es bei einer Schlacht ist«, meldete Zelika sich mit leiser, aber verbitterter Stimme zu Wort. »Man hört Kreischen und entsetzliche Geräusche wie in der Werkstadt eines Schmieds oder in einem Steinbruch, nur viel lauter, als man es ertragen kann. Es riecht nach Feuer, Blut und noch schlimmeren Dingen. Man sieht seltsam verzerrte Gesichter, weil sie wütend oder furchtsam sind oder sterben, und man empfindet die schlimmste Angst, die man je gekannt hat, wodurch man sich fühlt, als ob sich das eigene Blut in heißflüssiges Silber verwandelt hätte. Alles scheint grässlich klar und verschroben zugleich, und ständig geschieht etwas Merkwürdiges, sodass alles schnell und langsam gleichzeitig wirkt. Man sieht, wie blühende Dinge zerhackt und niedergebrannt werden, wie wunderschöne Dinge in Stücke geschlagen werden, wie diejenigen, die man liebt… diejenigen, die man liebt…« Die Stimme versagte ihr den Dienst. Sie senkte den Kopf und verstummte.
Auch Saliman schwieg eine Weile. Dann meinte er leise: »Ja, Zelika. Genauso ist es bei einer Schlacht.«
Teil zwei
Lamarsan
Schönheit zu bewundern ohne Neid, das ist Liebe.
In dem dunklen Garten zu liegen,
um das Lied der verborgenen Nachtigall zu hören, das ist Liebe.
Sich ein Messer ans Herz zu halten,
um einen anderen zu retten, das ist Liebe.
Liebe, das heißt, alles wegzugeben für nichts,
dein Haus dem dunklen Fremden zu öffnen.
Die Welt ist ein Mahlstrom aus Feuer und Schatten,
die, welche lieben, werfen sich ganz hinein.
Ah, mein Herz, du allein weißt am besten, was Liebe ist:
das im Dunkel brennende sterbliche Fleisch.
Murat von Turbansk, Bibliothek von Busk
Die Totenkrähen
Die Nacht brach über Turbansk herein. Es war eine Nacht samtener Luft, sanft und warm, und der mondlose Himmel war übersät mit funkelnden Sternen. Jasminduft schäumte unsichtbar über die Mauern der Stadt und durchdrang die Straßen und Gassen mit seiner Süße. Das Sternenlicht verlieh dem fleischfarbenen Stein der Gebäude eine gespenstische Blässe. Turbansk ähnelte einem lieblichen Trugbild, das vor der Dunkelheit waberte und dessen Türme und Kuppeln so gegenstandslos schienen wie in einem Traum.
Saliman hatte sich früh zurückgezogen, Zelika war verschwunden. Hem fühlte sich erschöpft, dennoch konnte er nicht schlafen. Rastlos drehte und warf er sich im Bett hin und her, bis er schließlich aufstand, seinen Kittel überstreifte und aus dem Bardenhaus schlich. Irc ließ er mit unter der Schwinge verborgenem Kopf auf seinem üblichen Schlafplatz zurück.
Hem lief barfuß durch die Straßen von Turbansk und lauschte den Geräuschen der Nacht: dem lauten Zirpen von Zikaden in den Baumwipfeln, dem vereinzelten schläfrigen Gurren von
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