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Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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töten, er konnte ihn selbst töten. Vielleicht würden sie einander nie wiedersehen.
    Hem blähte die Wangen und stieß einen mächtigen Atemzug aus, als versuchte er damit seine trübseligen Gedanken auszustoßen. Natürlich gab es noch Saliman. Saliman verkörperte alles, was Hem selbst gern gewesen wäre: groß, gut aussehend, stark, großzügig, tapfer, lustig … Hem hatte ihn vom ersten Augenblick an mit einer Inbrunst bewundert, die an Heldenverehrung grenzte. Es war ihm wie ein Wunder vorgekommen, als Saliman ihmangeboten hatte, sein Vormund zu werden und ihn nach Turbansk mitzunehmen, in die große Stadt im Süden, auf dass er dort zur Schule gehen und lernen sollte, wie man ein Barde wurde.
    Seit Hem die Hohe Sprache erlangt hatte und in der Lage war, mit Vögeln zu sprechen, hatte er davon geträumt, in den Süden zu reisen, wo - wie die Vögel ihm verraten hatten - Bäume voller bunter Früchte so groß wie sein Kopf wuchsen. Und nun war er hier. Er wohnte mit Saliman in einem prunkvollen Bardenhaus, bekam zu essen, so viel er wollte, und kleidete sich in feine Gewänder statt in die Lumpen, an die er sich gewöhnt gehabt hatte. Aber obwohl er nun auf einem Baum umgeben von den süßen Früchten hockte, von denen er immer geträumt hatte, schien Glück weiter von ihm entfernt als je zuvor.
    Zum einen hatte der Aufbruch nach Turbansk bedingt, dass er sich von Maerad hatte trennen müssen. Die Ungerechtigkeit dessen saß tief, wenngleich Hem trotz aller Verdrossenheit wusste, dass es niemandes Schuld war. Außerdem hatte er inzwischen festgestellt, dass er die Schule nicht besonders mochte. Er war nicht daran gewöhnt, stillzusitzen und sich zu konzentrieren, zudem kam er mit dem Tadel seiner Lehrmeister nicht zurecht, so freundlich er ihm auch erteilt wurde. Obendrein bestanden sie darauf, ihn Cai zu nennen, ein Name, den er als Kleinkind erhalten hatte, bevor er von Untoten entführt und in das Waisenhaus gebracht worden war, in dem er den Großteil seiner Kindheit verlebt hatte. Hem vergaß ständig, dass es überhaupt sein Name war, deshalb handelte er sich immer wieder Arger wegen Missachtung seiner Lehrer ein, wenngleich ihm tatsächlich bloß nicht klar gewesen war, dass sie mit ihm sprachen. Eine Weile grübelte er missmutig über die Ungerechtigkeit der Barden nach. Währenddessen pflückte und aß er unbewusst eine weitere Mango. Es war nicht seine Schuld, dass er nichts wusste. Niemand schien zu verstehen, wie schwierig sich Lesen und Schreiben für ihn gestaltete, und wenn er über ein Wort stolperte, verletzten die verächtlichen Blicke seinen Stolz, die er von den Siebenjährigen empfing, mit denen er den Schreibunterricht besuchte.
    Den Kern von Hems Unzufriedenheit jedoch bildete, dass er sich einsam fühlte. Saliman, der Einzige in Turbansk, dem er vertraute, weilte häufig in der Ferne oder war mit Bardenangelegenheiten beschäftigt. Und in letzter Zeit wirkte Saliman ständig geistesabwesend, selbst wenn sie Zeit fanden, miteinander zu reden. Hem war an der Schule das einzige Kind aus dem Norden, und sein helles, olivfarbenes Gesicht stach unter den schwarzhäutigen Kindern von Turbansk hervor, die ihn für ungeschliffen und seltsam hielten. Er konnte bereits auf die Erfahrung mehrerer Rauferein zurückblicken, und inzwischen mieden ihn die anderen, weil er schmutzig kämpfte: Er kannte keine Gewissensbisse dabei, die Finger in Augen zu stoßen, an Haaren zu ziehen oder zu beißen. Er beherrschte die Sprache Suderain nicht, was seine Verständigungsmöglichkeiten auf die Hohe Sprache beschränkte, in der es (wie Hem verdrossen dachte, während er den riesigen Mangokern von sich schleuderte, sodass er raschelnd durch die Blätter flog) unmöglich war zu lügen, weil sie einem die Worte verdrehte. Das entpuppte sich zunehmend als echtes Ärgernis. Wenngleich es - vermutlich zum Glück - auch bedeutete, dass die anderen Schüler seine Flüche und Beleidigungen in Annaren nicht verstanden.
    Er dachte an einen Unterricht vom Vortag zurück, während dem ihm so langweilig gewesen war, dass er sich regelrecht schwindlig gefühlt hatte. Dabei hatte er vergessen, sich zu zügeln, und unverhohlen gegähnt. Die Lehrerin Urbika, die in der Hohen Sprache das Erste Lied des Erschaffens sang, hielt mitten in der Strophe inne und bedachte Hem mit einem bohrenden Blick, aus dem zu gleichen Teilen Spott, Verärgerung und Mitgefühl sprachen, doch Hem war unempfänglich für derlei Feinheiten. Er war zu

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