Die Pelzhändlerin (1. Teil)
weißt selbst, dass ihr Frankfurt nicht betreten dürft, aus Angst, ihr könntet Krankheiten einschleppen. Du hast in den letzten drei Jahren wie in einem Versteck gelebt, hast dich verändert seither. Und auch Sibylla war jahrelang fort.»
Luisa packte ihr kleines Bündel und folgte ihrer Mutter. Sie war froh, dem lauernden Tod im Feldsiechenhaus zu entkommen. Wie oft schon hatte sie befürchtet, sich angesteckt zu haben. Doch das würde nun vorbei sein.
Am Stadttor gab es keine Schwierigkeiten, die Wächter beachteten die beiden ärmlich gekleideten Frauen kaum, winkten sie blicklos durch und kümmerten sich dann wieder um einen jungen Adligen, der mit seinem Gefolge Einlass begehrte.
Es gelang ihnen auch, in Marthas winzigen Verschlag zu kommen, ohne von den Besenbindern gesehen zu werden.
Zuerst holte Martha die kleine Ölkanne, die sie sorgsam hütete, denn Öl war teuer. Doch jetzt war nicht die Zeit für Sparsamkeit. Luisas Hände mussten heilen, mussten makellos weiß und glatt aussehen wie die einer Klosterschülerin. Martha stiegen die Tränen in die Augen, als sie die Hände sah. Tiefe Risse durchzogen sie, die Fingernägel zeigten bereits leise Anzeichen von Auflösung. Martha hob Luisas Hand, führte sie an ihren Mund und legte leicht ihre Lippen darauf, als könne allein ihr mütterlicher Wille heilen.
«Mutter», Luisa erschrak vor der unvertrauten Nähe.
Martha blickte ihre Tochter lange an. Ihr Gesicht war ein blasses Oval mit hohen Wangenknochen unter dichten, stumpfem Braunhaar. Ihre Augen waren groß und glanzlos, aber nicht ohne Feuer, ihre Nase schmal, und ihr Mund konnte sinnlich, aber auch über die Maßen trotzig wirken.
Was immer auch kommen mag, Luisa», flüsterte Martha. «Du musst wissen, dass ich dich liebe.»
Luisa schluckte, öffnete die Lippen ein wenig, doch sie blieb stumm. Solche Worte und Gesten waren unüblich zwischen ihnen. Sie waren ungewohnt, weckten in Luisa aber auch eine unbestimmte Sehnsucht.
Ganz behutsam strich Martha ihrer Tochter das Öl über die Hände, band dann Lappen darum, die über Nacht dafür sorgen sollten, dass sich die Haut beruhigte und die Rötungen und Risse verschwanden.
Als Nächstes wurde Luisas bestes und einziges Kleid besichtigt, die Schäden daran vermerkt und über ein bisschen Aufputz gesprochen, als ginge es um einen bevorstehenden Maitanz. Beide Frauen vermieden es, über den tatsächlichen Anlass zu sprechen, als fürchteten sie sich vor den eigenen Worten.
Bevor sie schlafen gingen, zählte Martha die wenigen Geldstücke, die sie im Laufe der Jahre für Notfälle beiseite gelegt hatte, um zu sehen, ob das Geld für ein Paar einfache Schuhe und anderes notwendiges Beiwerk ausreichte. Es ist nicht schade um meine Ersparnisse, tröstete sich Martha stumm und versuchte, die aufsteigende Angst zu unterdrücken. Brauchen werde ich sie nicht mehr. Entweder lande ich am Galgen, oder aber Luisa wird als Sibylla für mich sorgen, wenn meine Zeit als Wäscherin endgültig vorbei ist.
Eng aneinander geschmiegt, lagen sie auf dem Strohsack. Doch schlafen konnten beide nicht.
«Mutter, ich habe Angst», gestand Luisa leise in die Dunkelheit. «Ich weiß nicht, wie sich Bürgerstöcher benehmen, wie sie sprechen, sich kleiden, sich bewegen.»
«Du musst Augen und Ohren offen halten. Sprich zu Anfang nur, wenn du gefragt wirst, ahme nach, was die anderen tun. Beobachte und schweige, wie du es als Wäscherin gelernt hast.»
Auch Martha hatte Angst. Angst um ihr Kind, Angst auch vor der eigenen Entschlossenheit und dass Luisa sie eines Tages dafür hassen würde. Nur Angst um ihr eigenes Leben hatte sie nicht.
Luisa schlief die ganze Nacht schlecht und erwachte sehr zeitig am Morgen. Obwohl Martha ihr verboten hatte, das Haus zu verlassen, ging sie zum Gottesdienst in die Liebfrauenkirche in der Altstadt, unweit des Wöhlerschen Hauses. Luisa wusste, dass in diese Kirche am Sonntag die Handwerker mit ihren Gattinnen gingen, auch Patrizier und Ratsherren waren dort anzutreffen. Sie versteckte ihr Gesicht unter der großen Kapuze ihres einzigen Umhangs.
In der Kirche, die zu den prachtvollsten Frankfurts zählte, war es kühl. Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch die bemalten Butzenscheiben der hohen Kirchenfenster in das gewaltige Kirchenschiff. In ihrem Licht tanzte der Staub.
Luisas Holzschuhe klapperten bei jedem Schritt. Sie waren viel lauter als die der wenigen anderen Besucher, deren Schuhe Ledersohlen hatten. Beschämt und in
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