Die Pelzhändlerin (1. Teil)
verantwortlich. Jedes Stück, das sie berührt hatten, selbst das Wasser, hätte die Pest in die anderen Häuser gebracht, sagte man. Und während der letzten Seuche hatten sogar die Kinder auf der Gasse den Frauen in den Waschkitteln «Pest-Marie» nachgerufen und waren davongelaufen, als wäre der leibhaftige Teufel hinter ihnen her.
Sie schüttelte den Kopf. Wenn es einen gerechten Gott im Himmel gab, dann konnte er nicht wollen, dass Luisa vor die Hunde ging. Um mich ist es nicht schade, dachte Martha, aber Luisa, die sich schon vor ihrer Geburt gegen das Sterben gewehrt hat, soll leben. Von ganzem Herzen wünsche ich ihr das Leben einer Kürschnerstochter. Einer Frau, die die Bürgerrechte besitzt, die einen Mann ehelichen und Kinder bekommen kann. Die ehrbar und anständig ist, einen guten Ruf hat, die niemals hungern und frieren muss und der keiner auf der Straße Hohn- und Spottworte nachruft.
Mit Freuden sterben würde ich, könnte ich Luisa damit helfen. Sollen sie mich doch hängen, vierteilen, teeren, verbrennen. Oder häuten.
Martha schaute auf ihre Hände, von denen sich die Haut in Fetzen löste. Häuten, ja. Den ganzen Körper statt nur der Hände. Was war das schon für ein Unterschied? Sollen sie mich doch auf einen Bock schnallen, mir mit scharfen Messern die Unterschenkel aufschneiden und mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen. Davor habe ich keine Angst mehr.
Aber Luisa soll leben. Sie soll es besser haben als ich. Mein Gott, ich bin bereit, alles dafür zu tun.
Habe ich sie nicht in dieses Leben hineingeboren? Bin ich es nicht, die nun dafür sorgen muss, dass das Elend ein Ende hat?
Martha starrte verzweifelt auf die Wand, auf die der Mond gespenstische Schatten malte.
Und wenn ich alles nur noch schlimmer mache? Wenn ich auch Luisas Platz im Himmel verwirke? Ich mache doch auch sie zur Betrügerin.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Verzweifelt rang Martha die Hände und betete:
«Lieber Gott, bitte sag du mir, was ich tun soll.»
Wenn Gott aber nun schon gesprochen hatte? Wenn er es war, der ihr diesen Einfall geschickt hatte, um Luisa die Gelegenheit zu geben, ein ehrbares Leben zu führen? War er es nicht, der die beiden Mädchen einander zum Verwechseln ähnlich gemacht hatte? Und war er nicht auch dafür verantwortlich, dass Luisa so anders als die anderen Wäscherinnen war? So, als würde er zeigen wollen, dass sie nicht dorthin gehörte?
Die Glocken der nahen Kirche verkündeten Mitternacht, als Martha ein Satz einfiel, den sie kürzlich in einem Gottesdienst gehört hatte: «Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.»
Ja, dachte Martha, Gott ist ein Gott der Lebenden, und wenn wir es ihm nachtun wollen, so müssen wir uns um die Lebenden kümmern, nicht um die Toten. Wem schadet es, wenn aus Luisa Sibylla wird? Wer wird dabei betrogen?
Mit einer energischen Handbewegung strich sie sich die Haare aus der Stirn, als wolle sie alle Zweifel tilgen.
«Ist es nicht eher so, dass das Leben Luisa betrogen hat? Sie ist keine Wäscherin, ist nicht wie die anderen. War es niemals und wird es niemals sein. Keine Frau ist von Anbeginn Wäscherin mit schlechtem Ruf. Die anderen machen sie dazu. Und Gott allein weiß, warum das so ist», sagte Martha mit leiser, aber fester Stimme. «Wir fügen niemandem einen Schaden zu. Und wer weiß, ob Luisa als Sibylla nicht glücklich werden wird?»
Entschlossen holte sie die beiden Briefe aus ihrer Kitteltasche, nahm sie in die Hand, brachte das billige Talglicht zum Brennen, entzündete daran das Papier und ließ die brennenden Fetzen in eine tönerne Schüssel fallen, wo sie zu weißer Asche zerfielen.
Drei Tage blieben noch bis zur Beerdigung des Kürschnermeisters Wöhler. Drei Tage, um aus der Wäscherin Luisa die Meisterstochter und Klosterschülerin Sibylla zu machen, die aus Engelthal zurückgekehrt war, um ihr Erbe anzutreten.
Martha nahm sich einen freien Tag und wanderte am Taunus entlang nach Hofheim ins Feldsiechenhaus. Sie brauchte nicht lange, um ihre Tochter für ihren Einfall zu gewinnen. Wenigstens Luisas Lebenshunger hatte bei den Siechen keinen Schaden genommen.
«Ich werde Meisterstochter, ja» sagte sie. «Werde es nicht schlechter machen als Sibylla. Aber wird mich auch niemand in Frankfurt erkennen?»
«Nein! Wie auch?», beruhigte sie Martha. «Die Siechen können keinen Fuß vor den anderen setzen. Sie kommen niemals nach Frankfurt. Auch den Bediensteten bleiben die Stadttore verschlossen. Du
Weitere Kostenlose Bücher