Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Priester.
Obwohl seine letzten Worte beinahe hysterisch klangen, fühlte sich Luisa seltsam beruhigt.
An meinen Taten werde ich gemessen, dachte sie erleichtert. Nicht an meiner Herkunft, nicht an meiner Geburt, vielleicht nicht einmal daran, dass ich eine andere sein möchte. Wichtig ist, was ich daraus mache.
Trotzig sah sie hoch, musterte noch einmal das Mädchen im roten Kleid, das nun vornüber gebeugt saß und die Hände unter den Oberschenkeln versteckt hielt, dabei leicht vor- und zurückwippte, als würden die Worte des Priesters sie nicht betreffen.
Wahrscheinlich tun sie das auch nicht, überlegte Luisa. Was will dieses Mädchen schon von anderen begehren? Sie hat doch alles, braucht nichts mehr zum Glück. Und für alles, was sie hat, musste sie nicht einmal den Rücken krümmen, dachte sie voller Neid. Ja, was hat die da schon tun müssen für ihr Glück? Sie weiß nichts von der stinkenden, mit Eiter befleckten Wäsche der Siechen. Wäsche, die nach Angst stank, nach Angst, Fäulnis und Tod und oft steif war von Schweiß, Kot und Urin. Wäsche, die das Wasser rot oder braun färbte, sodass auch die Hände am Abend nach Blut und Verwesung stanken. Ein Geruch, der sich in der Haut festsetzte, in den Haaren hing, sogar auf der Zunge, sodass selbst Brot nach Tod schmeckte und Wasser nach Blut. Nichts davon wusste dieses selbstgerechte Mädchen, gar nichts. Wäre ich sie, könnte ich leicht ein guter und gottgefälliger Mensch sein.
Luisa stutzte, dachte über den letzten Satz nach. Hieß das etwa, dass die Armen einfach aus Not schlechter waren als die Reichen, die nicht stehlen mussten, um satt zu werden, nicht zu lügen und betrügen brauchten, um ein bisschen Anerkennung zu bekommen, um einen Platz in der Gemeinschaft zu haben? Waren die Reichen gottgefälliger, einfach, weil sie reich waren und schon besaßen, was die Armen niemals mit Ehrlichkeit erringen konnten? War das Gerechtigkeit? Nein, dachte Luisa, das konnte nicht Gottes Gerechtigkeit sein. Göttliche Gerechtigkeit war nicht das, was auf Erden dafür gehalten wurde.
Ich bin nicht schlechter, weil ich arm und unehrlich geboren bin, erkannte Luisa. Und ich werde beweisen, dass ich den Platz, an den ich mich selbst stellen werde, auch gut ausfüllen kann. An meinen Taten sollt ihr mich erkennen. Genau so, wie es in der Bibel geschrieben steht.
Luisa schwor sich, die unverhoffte und einmalige Gelegenheit, ein anderes, ein neues Leben auszuprobieren, zu nutzen und dafür immer dankbar zu sein. Und dieses neue Leben so zu gestalten, das es sie unabhängig machte. Von ihrem Geburtschein und von dem, was andere von ihr dachten.
Zwingen würde sie die Menschen, die in ihr zu sehen, die sie war, und nicht die, die sie nach den Regeln zu sein hatte. Im Waschkittel war sie die Wäscherin, die Pest-Marie, die freie Frau. Niemand hatte sich je dafür interessiert, wer oder was sie wirklich war. Als Sibylla aber würde sie sie selbst sein.
Mit Entschlossenheit sprach Luisa das Vaterunser, lauschte dem Segen und wartete am Ende des Gottesdienstes, bis alle die Kirche verlassen hatten. Ganz allein saß sie in der Kirchenbank, die Hände im Schoß gefaltet, und hielt Zwiesprache. Zwiesprache mit sich und mit Gott oder ihrem Gewissen.
«Ich werde Gutes tun», flüsterte sie. «Ich werde beweisen, dass die Herkunft nicht wichtig ist, sondern die Taten zählen. Und ich werde niemals mehr arm sein! Als Sibylla werde ich immer reich genug sein, um gut zu sein, das schwöre ich.«
Sie atmete noch einmal tief durch, erhob sich, lief nach vorn zum Altar und bekreuzigte sich dort, um ihrem Schwur Nachhaltigkeit zu verleihen. Dann drehte sie sich um und lief mit nun laut klappernden Holzschuhen und ohne Scham hinaus aus der Kirche.
Am Abend brachte Martha ein Stück roten Stoffes und ein Paar einfache Stiefel mit nach Hause. Das leichte Tuch ähnelte in der Farbe dem Kleid des Mädchens aus der Kirche. Luisa wusste, dass Marthas Ersparnisse damit aufgebraucht waren, und konnte sich nicht ohne Schuldgefühl freuen. Doch als sie die Freude in Marthas Augen sah, umarmte sie ihre Mutter und schmiegte sich fest an sie.
Sie fasste den Ausschnitt ihres blaugrünen Kleides mit dem roten Besatz ein, verzierte auch die Ärmel und nähte aus den Reststücken sogar noch einen glutroten Gürtel. Sie probierte alles an, schlang den Gürtel weit oberhalb der Taille unter ihre Brüste und drehte sich hin und her.
Martha stand dabei und betrachtete ihre Tochter voller
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