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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Zufall überlassen, wohin sie fielen. Die englischen Flugzeuge hatten nur strategisch wichtige Ziele bombardiert: den Hafen, Schiffe, das Elektrizitätswerk, den Bahnhof. Die Bomben der Amerikaner dagegen zerstörten die halbe Stadt, töteten zahllose Unschuldige und jagten den Menschen so große Angst ein, dass sie schließlich ihre Betten und Betttücher mit in die Luftschutzkeller nahmen und gar nicht mehr in ihre Häuser zurückkehrten. Nur wer wirklich musste, verließ den Keller. Man kam auch gar nicht mehr von einem Ort zum anderen, Busse und Züge waren ständig unter Beschuss. Und vom Festland kamen weder Post noch Zeitungen, Medikamente oder sonstige notwendige Dinge, denn die Schiffe konnten die Meerenge von Messina nicht passieren; die feindlichen Flugzeuge waren so zahlreich wie Vögel am Himmel. Es entging ihnen nicht ein einziges Boot.
    Diese Situation hatte auch Folgen für die Pension Eva. Nicht dass jetzt weniger Kunden kamen, im Gegenteil, es waren sogar mehr geworden. Der Unterschied bestand darin, dass die langen Unterhaltungen mit den Mädchen im Salon wegfielen; die Männer kamen, befriedigten in höchster Eile ihre Bedürfnisse, zahlten und gingen wieder. Auch Signora Flora hörte man nicht mehr rufen:
    »Kinder, in die Zimmer!«
    Die Männer kamen nicht, weil das körperliche Verlangen dringlich gewesen wäre, es war vielmehr der Wunsch, sich noch lebendig zu fühlen, der sie in die Pension führte. Signora Flora hatte dafür eine einfache Erklärung:
    »Wisst ihr, mit der Angst vor dem Tod wächst die Lust am Vögeln«, sagte sie zu Ciccio und Nenè.
    Der Krieg brachte es mit sich, dass ab März die Mädchen in der Pension blieben und nicht, wie sonst üblich, nach zwei Wochen wieder abreisten. In den ersten beiden Monaten des Jahres hatten acht Mädchen auf der Reise ihr Leben gelassen, drei in Messina und fünf in Palermo. Die Betreiber der Bordelle konnten es sich in solch schwierigen Zeiten nicht leisten, ihre Ware zu verlieren.
    Und so kam es, dass die nomadisierenden Mädchen, die am zehnten März in der Pension Eva ihren Dienst antraten, sesshaft wurden. Sie hießen:
    Angela Panicucci, genannt Vivi
    Romilda Casagrande, genannt Siria
    Francesca Rossi, genannt Carmen
    Giovanna Spalletti, genannt Aida
    Michela Fanelli, genannt Lulla
    Imelda Vattoz, genannt Liuba.
    Obwohl es gefährlich war, kam Nenè jeden Sonntagmorgen (samstags übernachtete er bei seiner Giovanna) von Montelusa nach Vigàta, um den Tag bei seinen Eltern zu verbringen. Montag früh fuhr er dann mit dem Bus zur Schule und abends wieder zurück, um mit Ciccio, Jacolino und den Mädchen in der Pension Eva zu Abend zu essen. Auch die drei Jungen hatten sich in der letzten Zeit verändert. Jacolino beispielsweise ging jetzt regelmäßig in die Kirche. Von einem Tag auf den anderen war er gläubig geworden. Er, der früher ohne Punkt und Komma geredet hatte, war jetzt ganz still. Sonntags versäumte er nie die erste Messe, er beichtete und ging zur Kommunion.
    »Jacolino, was ist los mit dir?«
    »Ach, lass mich in Ruhe.«
    »Aber wenn du nun praktizierender Christ geworden bist, dürftest du eigentlich nicht mehr in die Pension Eva gehen.«
    ’ »Ich geh doch nur zum Lernen hin!«
    »Stimmt ja gar nicht. Jeden Montag sitzt du gemütlich mit den Mädchen beim Essen.«
    »Was ist denn dabei, zusammen zu essen?«
     
    Und bei Nenè verhielt es sich so: Wenn er abends zu Giovanna zum Essen kam, ging er sofort mit ihr ins Schlafzimmer, kaum dass er die Wohnung betreten hatte. Er war wie gehetzt, als wäre jemand hinter ihm her, in nur zehn Minuten brachten sie alles hinter sich. Und nachdem sie schließlich zu Abend gegessen hatten, drängte er sie wieder ins Schlafzimmer.
    Oft machten sie dann noch ein letztes Mal Liebe, kurz bevor er ging, im Stehen und schon im Mantel.
     
    Ciccio dagegen hatte seine Leidenschaft für das Wetten entdeckt, und zwar für sehr sonderbare Wetten.
    »Wetten, dass ich eine Seebarbe von einem Pfund bei lebendigem Leib verputze? Aber ohne Gräten!«
    Er verputzte die Seebarbe.
    »Wetten, dass ich bei mir zu Hause acht Treppenstufen auf den Händen hochgehen kann?«
    Die Wette verlor er, auf der siebten Stufe versagten seine Kräfte.
    Und dann kam er mit einer ganz unglaublichen Wette an.
    »Wetten, dass ich meine Notdurft an einem Sonntag auf dem Rathausplatz verrichte?«
    »Die ganze Notdurft?«
    »Die ganze. «
    »Vormittags?«
    »Vormittags.«
    Nenè und Jacolino nahmen die Wette an. Und wie auf

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