Die Pension Eva
Tag an stotterte Minicuzzo Piolo nicht mehr.
Kurz darauf gab es dann noch die berühmte Geschichte vom Engel der Pension Eva. Unter den Mädchen, die in den letzten vierzehn Tagen des Jahres 1942 in der Pension eintrafen, war auch eine dreißigjährige Trientinerin, die Marianna Zunic hieß. Alle nannten sie Ambra.
Sie kam mit zwei Koffern an, einem großen und einem kleinen. Kaum hatte sie ihr Schlafzimmer betreten, öffnete sie den kleinen und zog eine große Anzahl von Heiligenbildern hervor, vom heiligen Ludwig Gonzaga über den heiligen Ignatius von Loyola bis hin zum heiligen Alfons von Liguori, außerdem die heilige Therese vom Jesuskindlein, die heilige Genoveva, den heiligen Rochus und die heilige Martha – allesamt eingerahmt. Sie befestigte die Bildchen an der Wand und stellte eine Kerze davor. Dann holte sie ein Kruzifix von beträchtlicher Größe aus dem Koffer, das sie auf ihr Nachtschränkchen stellte, des Weiteren zehn Rosenkränze und zwei Fläschchen mit Weihwasser. Als Signora Flora ihr Zimmer sah, erkundigte sie sich besorgt bei den anderen Mädchen, ob Ambra ihre übersteigerte Religiosität auch vor den Kunden zeige.
»Aber woher, Signora! An ihrer Arbeit ist nichts auszusetzen.«
Es war also ihre Sache, wenn sie vor dem Schlafengehen neben dem Bett niederkniete und alle Perlen des Rosenkranzes betete. Auch ging es niemanden etwas an, wenn sie morgens, kaum dass sie aufgewacht war, ein mindestens halbstündiges Gebet sprach und den Teil ihres Körpers, der sündig geworden war, mit dem Weihwasser aus den Fläschchen reinigte. Hätte jemand nachts ihr Zimmer betreten, wäre er wohl überrascht gewesen beim Anblick all der entzündeten Lichtlein. Es sah aus wie auf einem Friedhof.
Am vierten Tag nach Ambras Ankunft war ein deutsches U-Boot im Hafen eingelaufen, nachdem es acht Monate lang unterwegs gewesen war. Nach dem Mittagessen hatte die gesamte Mannschaft Ausgang und wurde in der Pension vorstellig. Die Herren Offiziere allerdings blieben an Bord, um unter Beweis zu stellen, dass für sie nur eine einzige Sache zählte: der Sieg des Führers und des Dritten Reiches. Doch bei dem Gedanken, dass nur wenige hundert Meter entfernt Frauen jedem Mann zur Verfügung standen, der sie haben wollte, konnte der Oberleutnant Ernst Grisar schließlich nicht an sich halten und bat den Kommandanten um Erlaubnis, drei Stunden an Land gehen zu dürfen. Dieser sah ihn verächtlich an und sagte:
»Einverstanden. Aber gehen Sie nicht in Uniform und geben Sie sich nicht zu erkennen.«
Der Oberleutnant zog sich eine Hose und einen Pullover an und darüber eine Jacke. Er schlug den Kragen hoch, um sein Gesicht zu verbergen, und setzte eine Art Kalpak auf, dessen Krempe er herunterzog. In dem Aufzug hätte er sich ins polare Eis wagen können. Kaum war er an Land, begegnete ihm einer seiner Kameraden, der auf dem Rückweg von der Pension war, und er fragte ihn nach dem Weg. Die Pension war nur wenige Schritte entfernt. Der Oberleutnant konnte sich nicht zurückhalten und fing bald an zu laufen. In der Pension schnappte er sich das erstbeste Mädchen, das in Reichweite war. Ambra.
»Komm schon!«
Sie hatten gerade das Zimmer betreten, da hatte er schon Schuhe, Hose und Unterhose abgestreift. Das Mädchen legte den Morgenmantel ab.
»Los! Schnell!«, sagte der Oberleutnant und gab ihr zu verstehen, sie solle sich auf der Stelle Büstenhalter und Höschen ausziehen.
Ambra gehorchte, indessen entledigte sich der Deutsche seiner Jacke und seines Pullovers.
»Kondom?«, fragte Ambra auf Deutsch. Ein paar Wörter konnte sie – solche, die mit ihrem Beruf zu tun hatten.
»Ja.«
Hastig nahm der Deutsche seinen Kalpak ab. Ambra nahm ein Tütchen aus ihrem Nachtkasten, riss es auf, und als sie sich wieder zu dem Mann umdrehte … Ernst Grisar hatte erst vor kurzem die dreißig überschritten, er war groß, hatte eine beträchtliche Narbe über den Rippen – eine Kriegsverletzung – und trug sein fuchsblondes Haar so lang, dass es ihm auf die Schulter fiel. Ein stattlicher Bart, ebenfalls fuchsblond, umrahmte sein Gesicht. Ambra wurde totenbleich: Sie war überzeugt, dass der gekreuzigte Jesus, der sonst auf ihrem Nachtschränkchen stand, hier und jetzt zu Fleisch geworden war. Er war vom Himmel herabgestiegen und stattete ihr einen Besuch ab, daran bestand kein Zweifel. Sie stieß einen Schrei aus, der bis hinunter in den Salon drang und alle zusammenfahren ließ. Sie kniete vor dem Deutschen nieder und
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