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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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an. Diese deutete auf eine Gruppe von Frauen im hinteren Bereich, die im Kreis auf dem Boden saßen und Knüpfarbeiten anfertigten. Wie aufs Stichwort erhob sich eine Frau, die mit dem Rücken zu Sami gesessen hatte, wandte sich um und lächelte sie scheu an.
    Sami war verblüfft. Die Frau war eine Weiße. Sie hatte große dunkle Augen und dunkles lockiges Haar unter einem Kopftuch, das sie auf dem Kopf verknotet und hinten befestigt hatte. Ein formloser knöchellanger Rock und eine lange Kasackbluse hingen an ihrem dünnen Körper herab. Um die Taille war ein gewebter Stoffgürtel mit einem kunstvollen Muster geschlungen. Ihr verhärmtes Gesicht strahlte unendliche Traurigkeit aus. Sami erwiderte das Lächeln der Frau und reichte ihr die Hand. »Ich bin Samantha Barton – Sami.«
    »Ich heiße Leila. Leila Kassadi.« Den Akzent konnte Sami nicht einordnen. Die Frau sprach leise, klang aber gebildet.
    »Sind Sie Lehrerin? Farouz hat nicht viel von Ihnen erzählt.«
    Eigentlich gar nichts, aber das sagte Sami nicht.
    Leila führte Sami aus dem Unterstand. »Kommen Sie, ich will es Ihnen erklären.«
    Sami warf Farouz einen verstohlenen Blick zu. Der bedeutete ihr mit einem Winken, sie solle Leila folgen. Die anderen Frauen schenkten ihnen kaum oder gar keine Beachtung, widmeten sich ihrer Arbeit und plauderten, lachten oder schrien hin und wieder ein Kind oder einen der Hunde an.
    »Farouz ist ein Freund. Wir hatten ihn gebeten, nicht über mich zu sprechen. Niemand weiß, dass ich hier bin.« Rasch fügte sie hinzu: »Ich bin hier zufrieden. Für mich gibt es keinen anderen Ort.«
    Sami sah Leila an und versuchte, sich einen Reim auf diese verwirrende Bemerkung zu machen. Die Frau war vermutlich Ende dreißig oder Anfang vierzig, doch umgab sie eine Aura von Erschöpfung, die sie viel älter wirken ließ. »Woher stammen Sie? Warum sind Sie hier?«
    »Sie haben Recht. Ich war Lehrerin und habe in meiner Heimatstadt Englisch unterrichtet. Aber das ist Jahre her. Unter dem Baum da liegt eine Decke, dort setzen wir uns hin.« Der zähe alte Bloodwood-Baum spendete etwas Schatten auf eine staubige Decke. Die beiden Frauen verjagten eine Horde Fliegen und machten es sich bequem.
    »Und wo ist Ihre Heimatstadt?«, fragte Sami, die begriff, dass man sie hergebracht hatte, damit sie Leila kennen lernte.
    »Es ist eine lange Geschichte. Ich komme aus Afghanistan. Aus einem Dorf in der Nähe von Herat.«
    »Wie um alles auf der Welt hat es Sie dann hierher verschlagen? Ausgerechnet hierher?«
    Die Überraschung in Samis Stimme entlockte Leila ein schwaches Lächeln. »Es ist eine Geschichte, die sich vor vielen Jahren ereignet hat. Und es ist meine Geschichte, aber es gibt viele andere, die genauso eine Geschichte erzählen könnten.«

[home]
Kapitel fünfzehn
    Wir lebten in einer Ansammlung von Dörfern – einer Oase bei Shindand, südlich von Herat. Es war friedlich dort, das Leben traditionell. Ich unterrichtete an einer Schule in Herat, und mein Ehemann arbeitete als Arzt. Im Abstand von zwei Jahren wurden unsere Töchter geboren.
    Unsere Vorfahren waren Nomaden, ehe sie sich vor mehreren Generationen am Fluss niederließen. Die Leute in meiner Familie waren Teppichknüpfer; sie fertigten Teppiche in der Tradition der Belutschen. Ein zunehmender Mond und eine volle Sonne bildeten unser Familiensymbol. Auf der schmalen Bordüre unserer Teppiche, die eine so genannte Sumak-Broschierung haben, befinden sich die Symbole unserer Familiengenealogie. Meine beiden Schwestern waren jünger als ich, sehr hübsch. Das Leben war schön. Dann zogen wir nach Kabul.
    Die Sowjets marschierten 1979 ein, und dann kam der Krieg. Es war schlimm unter den Russen. Mein Bruder schloss sich den Mudschaheddin an und wurde getötet. Auch mein Vater zog in die Berge, um gegen die sowjetische Invasion zu kämpfen.
    Als die Russen sich zurückzogen und die Taliban Herat 1995 übernahmen, glaubten wir, jetzt würde alles besser. Das Gegenteil war der Fall. Mein Ehemann Azad sorgte sich. Er konnte die Kranken nur schwer behandeln, es gab wenig Arzneien, und dann mussten die Frauen, die als Krankenschwestern arbeiteten, wie alle anderen Frauen auch zu Hause bleiben. Wir mussten den Tschador tragen, damit unser Gesicht und unser Körper ganz bedeckt waren. Man schloss die Schule. Mein Mann schickte mich mit unseren kleinen Töchtern nach Hause zu meinen Eltern und Schwestern. Wir hörten furchtbare Geschichten. Von Frauen, die zur Strafe

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