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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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hatte das Geld hergelockt, die Hoffnung auf Vergnügen, Abenteuer, die Flucht aus dem Alltag, womöglich gar auf eine Liebesaffäre. Aber egal, was sie zur Perlenzucht getrieben hatte: Wenn sie wieder gingen, nahmen auch die Abgebrühtesten unter ihnen Erinnerungen mit. An den Rhythmus der Teamarbeit auf einem schlüpfrigen Deck, an einen perfekten Sonnenuntergang, an den Fang eines enormen Fisches oder an friedliche Augenblicke in einer Hängematte zwischen zwei Palmen. Die Perle aus der letzten Ernte, die jeder von ihnen am Ende der Saison erhielt, sollte sie an dieses Leben erinnern. Eins wusste Lily: Wenn sie jung und fit wäre, würde sie genau hier arbeiten wollen!
    Damien fasste es in wenige Worte, als sie entspannt bei einem Drink den Mond aufgehen sahen. »Eine Perle zu erzeugen, die einmal ein Erbstück sein wird, ist fast ein Geburtsvorgang. Sie ist wie durch eine Nabelschnur mit dem Mond und den Gezeiten verbunden.«
    »Tränen des Mondes«, sagte Lily sanft. »Jetzt verstehe ich das alles besser.«
     
    Am nächsten Morgen machte Lily sich früh zu einer Erkundung der Bucht auf, in der die Farm lag.
    Nach beinahe fünf Kilometern kam sie zu einer Stelle, an der die Bucht sich krümmte, und hatte das Gefühl, über Gelände zu gehen, auf dem viele Jahre niemand mehr gelaufen war. Dann kam sie zur Mündung eines breiten Creeks. Am Rand einer Düne stieß sie auf rostige Dosen, eine mit Steinen eingefasste Feuerstelle und leere Flaschen. Daneben lagen eine verhedderte Angelschnur, ein kleiner Haufen Muscheln und ein verrottetes Paddel. Entweder ist dies ein Angelplatz, dachte sie, oder der Lieblingsplatz von jemandem. Als sie sich zum Creek umwandte, hörte sie prompt das Stottern eines Außenbordmotors, und dann kam ein leichtes Motorboot aus Aluminium in Sicht. Es verlangsamte die Fahrt, und der Aborigine am Ruder winkte und rief: »Alles in Ordnung, Lady? Haben Sie sich verirrt?«
    »Alles in Ordnung. Ich wohne hier bei Freunden.«
    »Nur zu Besuch, was?« Er stellte den Motor ab und steuerte näher heran.
    »Genau.«
    Er tat ein bisschen überrascht, jemanden wie Lily um diese Uhrzeit hier zu treffen. »Gehen Sie den Fluss da rauf. Ist nicht weit.« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Fragen Sie nach Mr. George. Er’s der Boss.«
    Ehe Lily ihn fragen konnte, von wem oder was Mr. George der Boss war, hatte der Mann den Motor wieder angeworfen, winkte ihr zu und steuerte hinaus auf die Bucht.
     
    Nach etwa zwanzig Minuten blieb Lily stehen, gebannt von dem Anblick, der sich ihr bot. Sie hatte zweifellos ein Perlenfischerlager vor sich, allerdings ein ziemlich heruntergekommenes. Baufällige Gebäude und behelfsmäßige Schuppen, ein unübersichtlich angelegtes altes Wohnhaus mit schiefer Veranda, eine Ansammlung von Booten und Ausrüstungsgegenständen, Haufen von Austernnetzen und Tauen – das alles wirkte wie ein Filmschauplatz für eine Geschichte von Somerset Maugham. Doch dann hielt Lily den Atem an. Teilweise hinter Mangroven verborgen, lag ein alter hölzerner Logger im Schlick auf der Seite. Ein Logger wie die, die sie auf alten Fotografien und hübsch restauriert im Pearl Luggers Museum in Broome gesehen hatte!
    Auf Lily wirkte das Schiff wie eine müde alte Dame, die sich ausruhte, sich vielleicht ihrer lebhaften Jugend erinnerte, als sie übers Meer gejagt war und über fernen Muschelfeldern gedümpelt hatte. Wie in einer Rückblende sah Lily den Logger auf See: das Deck mit Muscheln beladen und Tyndall lachend am Ruder. Yoshi in seinem Taucheranzug, der sich den schweren Helm aufsetzte, und den bereitstehenden Signalmann Ahmed, der dabei zuschaute.
    »Ahoi! Suchen Sie jemand? Kommen Sie her.« Ein alter Mann in Shorts und verwaschenem Hemd winkte von der Veranda des Hauses aus. Ein Hund sprang auf Lily zu.
    »Hallo! Ich bin Lily Barton. Sind Sie Mr. George?«
    »David George, zu Ihren Diensten, aber Sie können mich Dave nennen. Wo kommen Sie denn her?« Sie gaben sich die Hand. Er musste über siebzig sein, war unrasiert, schlank und hatte eine muntere Stimme mit leichtem britischem Akzent, dazu ein fröhliches Lächeln. Aber seine blassblauen Augen sahen müde aus, und Lily fiel auf, dass er sich steif bewegte.
    »Ich habe mich früh aufgemacht, weil ich die Gegend erkunden wollte, ehe es zu heiß wird. Ich komme von der Lake-Farm.«
    »Möchten Sie einen Schluck Wasser? Bei uns kommen nicht oft Fremde vorbei.«
    »Das kann ich mir vorstellen.« Lily nahm den Hut ab und

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