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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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und geträumt. Wahrscheinlich hatte er oft über die Bucht geblickt und sich gefragt, ob in ihren Tiefen ein Vermögen auf ihn warten mochte. Natürlich besaß Kapitän Tyndall damals ein blühendes Unternehmen in Broome, und die Red Rock Bay musste ein Wagnis gewesen sein, doch immerhin war die Farm noch da und produzierte Perlen. Ihre abstrakte Suche nach der eigenen Identität war wieder einmal mehr ein Stück greifbare Realität geworden.
    Unvermittelt überflutete sie eine Vision als Folge der Eindrücke, die auf sie eingestürmt waren, nachdem sie den Logger und das Lager erblickt hatte. Die Vision hielt eine einfache, aber Schwindel erregende Botschaft für sie bereit: Tritt in seine Fußstapfen!
    Der Gedanke ließ sie vor Schreck erbeben. In seine Fußstapfen treten – bist du wahnsinnig? Du warst wohl zu lange in der Sonne! Nein, schieb die Idee nicht so leichtfertig beiseite. Denk darüber nach. Natürlich wäre es ein Problem, wo ich so viel Geld auftreiben soll. Natürlich habe ich keinen blassen Schimmer, was man mit Perlen eigentlich genau macht – abgesehen davon, dass man sie tragen kann. Und so ziemlich alle werden mich für verrückt halten. Ach, und Tyndall hatte die wunderbare, verwegene Olivia, die ihn unterstützte. Was hatte sie ihm geraten? Sie hatte ihn stets ermutigt! An wen kann ich mich wenden, fragte sie sich. Wer wird meine Vision teilen? Und das Engagement, um sie Wirklichkeit werden zu lassen?
    Gedankenverloren fuhr Lily mit der Hand durch den Sand. Erst als ihre Finger auf etwas Hartes trafen, merkte sie, was sie tat. Sie grub ein bisschen tiefer und zog eine Perlmuschel aus dem Sand. Innen glänzte die Oberfläche noch immer silbrig. Überrascht schüttelte sie den Kopf und sah die Muschel fragend an. Wie bist du hier unter diesen Baum geraten? Reiner Zufall, oder doch mehr als das? Ein Zeichen?
    Die Berührung der Muschel beschwor eine lebhafte Erinnerung an den Tag in ihr herauf, an dem sie Olivias wunderschöne Perlenhalskette als kleines Mädchen zum ersten Mal trug. Sie hatte die wunderbaren schimmernden Perlen sofort ins Herz geschlossen. Auf ihrer Haut schienen sie zum Leben zu erwachen, glänzten, atmeten, glühten vor Leben. Und doch hatte ihre Mutter sie versteckt. Lily wusste, dass sie rechtmäßig ihr selbst und nicht ihrer Mutter gehörten. Sie hielt jene kurze, strahlende Erinnerung an Olivia in Ehren – an eine elegante, große alte Dame, die ihr die Perlen um den Hals gelegt hatte. Damals als Kind war Lily entzückt gewesen, dass die Kette ihr bis zu den Knien reichte. Doch Georgiana hatte sie dort im Garten in Perth gefunden und gesagt, sie sähe albern damit aus. Dann hatte sie ihr die Kette abgenommen. Einen Blick und ein Flüstern hatten Lily und Olivia bei ihrer einzigen Begegnung noch ausgetauscht, und so wusste Lily, dass diese Perlen für sie bestimmt waren. Sie trug sie nun so oft wie möglich.
    Mehr denn je war Lily besessen von ihrer Entstehungsgeschichte – dem Wissen, dass sie von dieser Küste stammten, aus diesem Gewässer, mühevoll von Tyndall gesammelt. Sie versuchte, sich die Erregung über den Fund auch nur einer solchen Perle vorzustellen.
    Die Orientierungslosigkeit in ihrer momentanen Situation ohne jede Herausforderung und ohne Ziel – nun löste sie sich auf wie Nebel im Sonnenschein. Sie war über fünfzig, von ihrem Posten in Sydney in den Ruhestand getreten, und alle dachten, sie werde sich ein ruhiges Leben machen. Es galt als selbstverständlich, dass die Zeit der großen Leidenschaften – sei es nun in der Liebe oder beruflich – hinter ihr lag. Lily beschloss, alle eines Besseren zu belehren. Und sie wusste auch schon, wie! Es war beängstigend, einen solchen Schritt auch nur zu erwägen. Sie musste alles genau durchdenken, darüber schlafen. Vielleicht käme ihr diese Idee im modernen komfortablen Apartment in Broome wie ein verrücktes, wunderschönes Luftschloss vor. Doch sie wusste, dass sie niemanden fragen konnte; die Entscheidung lag allein bei ihr.
    Lily stand auf und stapfte die menschenleere Küste entlang zurück. Vor ihrem inneren Auge blitzten ununterbrochen Bilder der Star-Two-Farm auf, von der gestrandeten
Georgiana
und von Tyndalls Porträt im alten Haus in Broome. Jetzt schienen seine blitzenden Augen ihr zu sagen: »Trau dich doch!«
     
    Sami hatte seit Wochen nicht mehr so viel gelacht. Sie und Palmer unternahmen einen Morgenspaziergang. Rakka rannte voraus. Sie genoss jeden Augenblick dieses Abenteuers

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