Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Perserinnen - Babylon 323

Die Perserinnen - Babylon 323

Titel: Die Perserinnen - Babylon 323 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfriede Fuchs
Vom Netzwerk:
Paruschjati überrascht
an, dann stand er auf und verbeugte sich.
    „Bei unserem letzten Treffen hast du mir angeboten, ein
Horoskop zu erstellen“, sagte Paruschjati. „Ist es wahr, dass man damit die
Zukunft eines Menschen vorhersehen kann?“
    „Ja, das ist richtig“, erwiderte Berossos und richtete sich
auf. In seinen schwarzen Augen funkelte Begeisterung, offenbar waren Horoskope
seine Leidenschaft. „Man berechnet die Positionen des Mondes, der Sonne und der
anderen Planeten und setzt sie in Beziehung zu den zwölf Sternbildern, die sich
im Lauf des Jahres über das Himmelsgewölbe bewegen. Dazu muss man …“
Paruschjati stoppte seinen Redefluss mit einer Handbewegung, und er schloss:
„Mit Vergnügen würde ich dir ein Horoskop erstellen.“
    „Es soll nicht für mich sein, sondern für mein ungeborenes
Kind.“
    „Oh.“ Auf seinem Gesicht zeichnete sich Enttäuschung ab. „Es
tut mir leid, aber das ist nicht möglich. Um ein Horoskop für einen Menschen
erstellen zu können, muss man den Tag und die Stunde seiner Geburt kennen. Die
Weissagung ergibt sich aus der Position, die die Planeten und Sternbilder zu
exakt diesem Zeitpunkt eingenommen haben. Und da dein Kind noch nicht geboren
ist … Aber ich könnte stattdessen ein Horoskop für dich selbst erstellen“, fuhr
er hoffnungsvoll fort, „oder die Zukunft deines Kindes anderweitig in Erfahrung
bringen. Neben der Sterndeutung gibt es weitere Möglichkeiten, etwa die
Eingeweide von Opfertieren, den Flug der Vögel und andere Wege, die nur wir
Chaldäer kennen.“
    „Es heißt, die Chaldäer verfügen über vielerlei Kenntnisse.“
    „Oh ja, wir besitzen geheimes Wissen, das nur uns …“
    „Auch über Gift?“
    „Gift?“ Berossos starrte Paruschjati mit großen Augen an.
    „Ja, Gift. Der König ist schwer krank. Es gibt Gerüchte, er
sei vergiftet worden. Was liegt näher als der Verdacht gegen die Chaldäer, die,
wie du zugibst, über geheimes Wissen verfügen? Vielleicht kennen sie auch
Gifte, gegen die niemand ein Heilmittel weiß.“
    „Aber warum sollten wir den König vergiften?“ Noch immer
wirkte Berossos eher verblüfft als schuldbewusst.
    „Damit er euch nicht dafür bestraft, dass ihr die Gelder für
die Erneuerung des Stufenturms unterschlagen habt. Deshalb habt ihr mit allen
Tricks versucht, die Rückkehr des Königs nach Babylon zu verhindern – angeblich
wartete in der Stadt Unheil auf ihn. Merkwürdig: Die Chaldäer prophezeien dem
König Unheil, und tatsächlich erkrankt er.“
    „Aber nein, wir wollten den König nur warnen“, stotterte
Berossos. Inzwischen war ihm die Tragweite des Vorwurfs bewusst geworden.
    Eine Art Krächzen, das von oben kam, unterbrach ihn. Der
junge Priester entschuldigte sich und trat zu der hölzernen Leiter, die nach
oben führte, wahrscheinlich hinauf aufs Dach, dem hellen Tageslicht nach zu
schließen, das durch die Öffnung in der Decke fiel. Es folgte ein heftiger
Wortwechsel auf Babylonisch, von dem Paruschjati kein Wort verstand. Die Stimme
von oben war heiser und rau. Schließlich schien Berossos nachzugeben.
    „Wenn du bitte hinaufkommen möchtest“, bat er verlegen, und
wies einladend auf die Leiter. „Mein Großvater möchte mit dir sprechen. Er ist
einer der ältesten Zeichendeuter des Tempels.“ Misstrauisch beäugte Paruschjati
die wackelige Konstruktion. Eine persische Königin kletterte nicht auf
Anweisung eines Unsichtbaren auf eine Leiter. Berossos fügte hinzu: „Mein
Großvater sagt, er wird dir eine Antwort auf die Frage geben, wegen der du
gekommen bist.“
    Das gab den Ausschlag. Paruschjati raffte ihr faltenreiches
Gewand zusammen und stieg mit Hilfe zweier einander auf die Füße tretender
Dienerinnen vorsichtig die Leiter hoch. Mannuja musste zu ihrem Ärger unten
bleiben, sie war zu gebrechlich für solche Klettereien.
    Oben gelangte man tatsächlich auf das Dach. Von hier aus
hatte Paruschjati einen hervorragenden Blick über den Tempelbezirk mit seinen
geschäftigen Menschenmassen. In einiger Entfernung, jenseits der
Umfassungsmauern, ragte der Stufenturm in den Himmel, der von der untergehenden
Sonne in ein düsteres Orange getaucht wurde. Sechs Stufen türmten sich
übereinander, auf der obersten stand ein Gebäude, in dem nach dem Glauben der
Babylonier Marduk persönlich hin und wieder zu nächtigen pflegte.
    „Gefällt dir die Aussicht?“
    Sie fuhr herum. Ein alter Mann saß im Schneidersitz auf
einer ausgefransten Schilfmatte. Er verbeugte sich

Weitere Kostenlose Bücher