Die Perserinnen - Babylon 323
Paruschjati nur
noch ihren dunklen Scheitel erkennen konnte. Ein hässliches Grinsen erschien
auf dem Gesicht des Eindringlings, und sofort legte Damaspia den Arm fester um
ihre ältere Tochter.
Noch mehr Männer drängten in den Raum, auch sie in Gelb und
Blau. Eunuchen stellten sich ihnen entgegen, doch sie wurden niedergemacht wie
zuvor Bagapata. Die Eindringlinge zerrten die jüngsten und hübschesten
Dienerinnen an den Haaren hervor, der Anführer kam drohend auf Damaspia zu. Sie
machte sich von Frataguna los, setzte Paruschjati auf dem Boden ab und stand
auf. Unwillkürlich blieb der Mann stehen, auch die anderen Unsterblichen
hielten inne. Die Schreie der Frauen und das rohe Gelächter der Männer
verstummten.
„Lasst die Hände von meinen Dienerinnen!“, sagte Damaspia
ruhig. „Tötet mich, wenn das der Grund ist, aus dem ihr gekommen seid, aber
verschont meine Tochter! Was immer in dieser Nacht geschehen sein mag: Sie ist
die Tochter des Großkönigs!“
Der Anführer lachte. In der Hand drehte er die Klinge, die
mit Bagapatas Blut besudelt war. „Warum sich mit einer zufrieden geben, wenn
man zwei haben kann?“, fragte er, den Blick noch immer auf Frataguna gerichtet.
Seine Augen glitten von ihr zu Paruschjati, die neben dem Sessel auf dem Boden
kauerte. Sein Grinsen wurde noch hässlicher. „Oder drei?“
„Lass sie in Ruhe!“, sagte eine Stimme von der Tür her. „Du
weißt, wer sie sind.“
Der Anführer fuhr herum und starrte zu dem Mann, der ganz
allein in der Tür stand, zwischen den rot lackierten Pfosten. Sein Gesicht war
in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Auch er trug das Gewand eines
Unsterblichen, aber das seine war weiß mit gelben Ärmeln und türkisen Borten
und benäht mit rechteckigen Goldplättchen.
„Warum sollten wir uns den Spaß entgehen lassen?“, fragte
der Anführer der Eindringlinge. „Etwa aus Furcht vor einem Toten?“
„Nein. Sondern weil der neue Großkönig euch dann zu Dank
verpflichtet sein wird.“, erwiderte der Mann an der Tür.
„Der neue Großkönig!“ In der Stimme des
Eindringlings schwang unüberhörbare Geringschätzung mit.
„Du hast gehört, was der Hazarapatisch gesagt hat! Arescha
ist der neue Großkönig, ob es dir gefällt oder nicht! Willst du ihm erklären,
dass du seine Mutter und seine Schwestern vergewaltigt und umgebracht hast?“
„Ich bin nur dem Hazarapatisch Erklärungen schuldig!“ Doch
in der Stimme des Mannes schwang eine Spur Unsicherheit mit.
„Meinst du?“
Der Unbekannte an der Tür lächelte, man konnte seine Zähne
blitzen sehen. Er machte eine Bewegung mit der Hand, und plötzlich lösten sich
weitere Gestalten aus der Dunkelheit draußen vor der Tür und traten an seine
Seite. Der Anführer der Eindringlinge starrte zu ihnen hinüber und versuchte einzuschätzen,
wie viele sie waren. Dann ließ er unschlüssig seinen Blick über die Frauen
wandern, als überlege er, ob es das Risiko Wert war. Schließlich schien er eine
Entscheidung zu treffen, und ein Anflug von Enttäuschung zeichnete sich auf
seinem Gesicht ab. Er zuckte die Achseln und ging ohne ein weiteres Wort zur
Tür. Seine Leute folgten ihm, zuerst mit Verzögerung, dann eiliger. Die Männer
draußen traten zur Seite und ließen sie passieren, hinaus in die Vorhalle und
weiter in den Palasthof.
Der Fremde sah ihnen nach, dann drehte er sich um und trat
in die Halle, bis das Licht der Lampen sein Gesicht erfasste. Er war jung, und
seine gut geschnittenen Züge kamen Paruschjati vage bekannt vor. Doch sie
konnte sich nicht erinnern, woher sie ihn kannte.
„Banuka.“ Der junge Mann verbeugte sich formvollendet vor
Damaspia, als befinde er sich auf einer Audienz beim Großkönig. „Du und deine
Töchter, ihr seid in Sicherheit! Ich werde mit meinen Freunden draußen Wache
halten.“
Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein verwegenes Lächeln ab,
während er sich über den Schnurrbart strich, so strahlend wie das Lächeln eines
jungen Löwen.
Babylon, 16. Daisios , 114. Olympiade, 1. Jahr
(29. Mai 323 v. Chr.)
Sie erwachte schweißgebadet und starr vor Entsetzen.
Bewegungslos lag sie auf dem Rücken und starrte hinauf zu der Decke aus
Zedernholz. Die Erinnerung war so deutlich, als sei alles erst gestern
geschehen und nicht schon vor vielen Jahren. Fünfzehn waren es jetzt, und die
Welt hatte sich seitdem so sehr verändert, dass sie sich manchmal fragte, ob es
diese Zeit jemals wirklich gegeben hatte. Doch die Angst, die sie empfand, war
real,
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