Die Perserinnen - Babylon 323
angeführt von Demophon,
dem obersten Zeichendeuter des Königs. Neugierig blieb Paruschjati stehen.
„Eumenes“, sagte Demophon, „meine Leute und ich werden die
Nacht im Tempel des Asklepios verbringen. Ich hoffe, dass der Gott mir im
Schlaf ein Zeichen sendet, wie dem König geholfen werden kann.“
„Asklepios?“ Eumenes zog eine Braue hoch. „In Babylon?“
„Hier nennen sie den Heilgott natürlich anders. Ihm ist im
großen Marduk-Tempel ein Schrein geweiht. Diese Offiziere hier haben darauf
bestanden mitzukommen, und ich dachte mir, dass du dich uns vielleicht
anschließen möchtest.“
„Danke, Demophon.“ Eumenes warf einen spöttischen Blick auf
die Offiziere, denen anzusehen war, wie wenig begeistert sie von dem Einfall
des Sehers waren. Demophon war natürlich ebenfalls Grieche. „Ich würde zwar
gern mitkommen, habe aber so viel zu tun, dass ich beim besten Willen nicht
kann. Trotzdem danke, dass du an mich gedacht hast.“
Im Tempel des Marduk befand sich der Hauptsitz der Chaldäer.
Spontan fasste Paruschjati einen Entschluss. „Ich komme mit.“ Die Offiziere
starrten sie entgeistert an. „Ich möchte die Götter ebenfalls befragen.“
„Wir können nicht warten, bis dein Wagen kommt“, brachte
Peithon hervor, sobald er sich wieder einigermaßen gefasst hatte. Die anderen
Offiziere erwachten aus ihrer Erstarrung und stimmten eilig zu, doch
Paruschjati ließ sich nicht abwimmeln. Nur Peukestas ergriff ihre Partei.
Seleukos gab als Erster nach. Als Befehlshaber der
Schildträger hatte er ohnehin für eine angemessene Eskorte für sie zu sorgen.
„Wie du willst“, sagte er zu Paruschjati, „lass deinen Wagen vorfahren, wir
warten so lange.“
Peithon verdrehte die Augen. Während sie auf den Wagen
warteten, versuchte Peukestas, in seinem schlechten Persisch mit Paruschjati
Konversation zu machen. Die anderen Offiziere scharrten unterdessen ungeduldig
mit den Füßen, sahen vorwurfsvoll zu ihr herüber oder betont angestrengt in
eine andere Richtung. Als Peukestas sicher sein konnte, dass niemand ihrem
Gespräch Beachtung schenkte, sagte er auf Persisch, ohne seinen Plauderton zu
ändern: „Du und Barsine, ihr solltet morgen in aller Frühe zu den Gemächern des
Königs kommen. Ich werde einen Weg finden, dass man euch einlässt.“
„Was hast du vor?“, fragte Paruschjati ebenso beiläufig.
„Vertrau mir.“ Dann redete er weiter über die Rundreise, die
er vor Kurzem durch seine Satrapie unternommen hatte.
Endlich kam der Wagen, es konnte losgehen. Der Weg war nicht
eben als kompliziert zu bezeichnen. Er führte vom Alten Palast auf der
schnurgeraden Prozessionsstraße Richtung Süden, am Areal des Stufenturms
vorbei, an das sich der Komplex des Marduk-Tempels anschloss, beide von
scheinbar endlosen Mauern umgeben. Da jeder der heiligen Bezirke so groß war
wie manche eine ganze Stadt, zog sich die Fahrt in die Länge. Zumal man nur
langsam vorankam. Paruschjatis Wagen wurde nicht nur von Schildträgern
eskortiert, sondern auch von einem Schwarm wedeltragender Eunuchen.
Glücklicherweise ritten die Offiziere voraus, sodass Paruschjati ihre
vorwurfsvollen Gesichter nicht sehen musste.
Im Hauptheiligtum Babylons wurde nicht nur der Stadtgott
Marduk verehrt, auch die zahllosen anderen Götter Babyloniens und Assyriens
hatten hier ihre Schreine. Von früheren Besuchen wusste Paruschjati, dass
besonders das Allerheiligste Marduks mit unvorstellbarem Prunk ausgestattet
war. Die Wände waren mit Gold- und Silberblech verkleidet und mit Edelsteinen
geschmückt. Dabei beklagten sich die Babylonier noch immer, dass Großkönig
Kschajarscha vor vielen Jahren das Heiligtum geplündert und sogar das angeblich
aus massivem Gold bestehende Kultbild des Gottes entführt hatte. Inzwischen
erstrahlte der Tempel allerdings wieder in altem Glanz, und auch Marduk selbst
hatte sich längst wieder eingefunden.
Doch nicht er war Paruschjatis Ziel, auch nicht der Heilgott
oder eine der anderen Gottheiten. Als ihr Wagen auf dem Tempelgelände vorfuhr,
eilten hochrangige Priester herbei, angelockt vom hohen Besuch. Paruschjati
wimmelte sie ab und fragte stattdessen nach Berossos, dem jungen Chaldäer, den
Mannuja vor einigen Tagen geholt hatte, um ihre Träume zu deuten. Es dauerte,
bis sie verständlich gemacht hatte, wen sie suchte. Ein Tempelschüler führte
sie hin. Sie fanden Berossos in einem abgelegenen Raum, inmitten von Regalen
und einem Berg von Tontafeln. Der junge Priester starrte
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