Die Perserinnen - Babylon 323
Das war der Grund, warum ich damals blieb.“
„Du hast richtig gehandelt.“
„Ich weiß, dass du es verstehst. Du und deine Mutter, ihr
wart damals die Einzigen, die es verstanden. Aber ich musste seither mit meiner
Schuld leben. Bald werde ich vor Ahura Mazda Rechenschaft ablegen müssen dafür,
meinen eigenen Sohn verraten zu haben.“
„Du hast ihn nicht verraten“, gab Paruschjati der Sterbenden
mit auf ihren letzten Weg. „Darajavahusch war ein tapferer Mann, ein
verantwortungsvoller König, ein rechtschaffener Mensch. Stets hat er alle
Pflichten erfüllt, die Ahura Mazda ihm auferlegt hat. Doch er war dem Untergang
geweiht. Bestimmt hat ihm in seinen letzten Stunden der Gedanke Trost
gespendet, dass seine Familie in Sicherheit war.“
„Trotzdem: Ich habe ihn verraten, damals, am Haus des
Kamels. Noch konnte ich nicht wissen, dass er wieder geflohen war. Und dennoch
hatte ich meinen Sohn schon aufgegeben.“
„Du hast recht gehabt.“
„Das ist das Schreckliche daran.“
22
Babylon, 7. Panemos
Der
Platz vor dem hochherrschaftlichen Anwesen summte vor gut organisierter
Geschäftigkeit. Eine Wagenkolonne stand auf ihm, eine Eskorte von Reitern hatte
vorn und hinten Aufstellung genommen. Es mussten an die zweihundert Mann sein –
Perdikkas wollte sich nichts vorwerfen lassen, wenn es um die Sicherheit seiner
Exfrau ging. Andererseits bestand die Eskorte natürlich aus Persern, alle in
den Rüstungen und purpurnen Mänteln der Gefährten-Reiterei. Auf ihre
Anwesenheit wurde in Babylon ohnehin kein Wert mehr gelegt. Dies musste die Hipparchie
sein, die unter Vischtaspas Kommando stand, und tatsächlich, Paruschjati konnte
den Hipparchen selbst ganz vorn am Anfang des Wagenzugs erkennen. Es war
paradox: Gestern noch wäre sie glücklich gewesen, ihm zu begegnen – jetzt
musste sie hoffen, dass er sie nicht erkannte.
Diener waren schon eine ganze Weile damit beschäftigt, das
Gepäck aufzuladen, bis schließlich Gambija selbst mit ihrem Gefolge erschien.
Alles ging sehr schnell. Dienerinnen und Eunuchen hasteten zu ihren Wagen. Ohne
einen Blick zurück ging Gambija zu dem besonders großen und luxuriösen
Reisewagen in der Mitte der Kolonne und stieg ein, gefolgt von ihren
Kammerfrauen, unter denen sich auch eine befand, die tief verschleiert war. Die
Wagentüren wurden zugeschlagen, die Fuhrleute fuchtelten mit ihren Stöcken, und
Vischtaspa gab seinen Reitern das Kommando zum Aufsitzen. Mit Gerassel und
Peitschenknallen setzte sich der Wagenzug in Bewegung. Es würde ein schöner,
sonniger Tag werden, wie so oft in Babylon.
Paruschjati schwang sich den abgeschabten Lederranzen über
die Schulter und hielt sich dicht an der Häuserwand, ohne den Blick von der
Kolonne zu lassen. Erst als sie schon ein ganzes Stück entfernt war, wandte sie
sich um und ging in entgegengesetzter Richtung die Straße hinunter. Faiduma war
auf dem Weg nach Medien, Paruschjati konnte beruhigt sein. Sie ging zügig und
zielstrebig, auch wenn das Gewicht des Ranzens sie behinderte. Der Weg war
nicht weit, sie kannte ihn in etwa, notfalls würde sie fragen. Den Gasthof „Zur
Gehenden Schlange“ kannte jeder in diesem Viertel. Die Straßen waren inzwischen
schon gut gefüllt, aber zugleich so breit, dass sich das Gedränge in Grenzen
hielt, und auch die Hitze war noch erträglich.
Es war ein weiterer schrecklicher Schlag gewesen, und doch
war er Paruschjati vorgekommen wie ein Wink des Schicksals. Sie hatte Mannuja
an der Tür sitzend vorgefunden, im Innenhof von Apamas Gemächern. Die alte Frau
saß mit dem Rücken an den Türpfosten gelehnt, die Augen geschlossen, als
genieße sie die Morgensonne, deren erste Strahlen gerade über die Dächer
krochen. Zuerst hatte Paruschjati gedacht, sie schliefe, denn ihr Gesicht war
friedlich und entspannt.
Sie hatten sie im Garten begraben, nach der Sitte der
Babylonier, die seit uralten Zeiten mit ihren Toten zusammenwohnten. Danach
waren sie zu Perdikkas’ Haus aufgebrochen. Paruschjati würde ihr Versprechen
gegenüber Seleukos halten und aus der Stadt verschwinden. Der Rest ging ihn
nichts an.
Als sie bei der „Gehenden Schlange“ ankam, sah es dort ganz
ähnlich aus wie kurz zuvor vor Perdikkas’ Haus, nur dass sich hier nicht der
Haushalt einer persischen Dame reisefertig machte, sondern eine Karawane von
Kaufleuten und anderen Reisenden. Pferdefuhrwerke und Ochsenkarren bildeten
eine Kolonne, hinzu kamen bis über die Ohren bepackte Esel und Maultiere und
sogar eine
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