Die Perserinnen - Babylon 323
besser! Das
müsstest du doch wissen, oder hast du nichts aus der Vergangenheit gelernt?“
„Deine Mutter hat recht“, erklärte Parmusch streng. „Mit
deinem Verhalten hast du uns alle in Gefahr gebracht!“
„Wieso? Du selbst hast doch dauernd gemeckert, dass wir
nicht unserem Rang gemäß behandelt wurden. Und du hast auch gesagt, man kann
nicht sein ganzes Leben geduckt verbringen nur wegen der Vergangenheit.“
„Es hat bestimmt nicht geschadet“, mischte sich Frataguna
ein. „Dieser König Alaksanda war doch sehr freundlich. Er hat uns mit großem
Respekt behandelt, dabei hätte er uns allen auch die Kehlen durchschneiden
lassen können. Oder uns als Sklavinnen verkaufen oder an seine Soldaten
verteilen. Ich glaube, er ist ein guter Mensch.“
„Könige sind keine guten Menschen“, sagte Damaspia. „Arescha
war ein guter Mensch, und Arescha ist tot.“
Babylon, 23. Daisios
„Ja, auch die Abfahrt der Flotte wurde verschoben“, sagte
Barsine, während sie ihr Personal dirigierte, das ihr umfangreiches Gepäck auf
das Boot lud. „Nicht gerade eine Überraschung, nachdem schon die Armee gestern
nicht abmarschiert ist.“
„Verschoben, ja, aber für wie lange?“, insistierte
Paruschjati. „Um ein paar Tage? Für länger? Oder für immer?“
Barsine zuckte ratlos die Achseln, als Herakles sich
plötzlich von der Hand seiner Kinderfrau losriss und mit lautem Geschrei auf
den Landesteg zustürmte. Die Frau schaffte es gerade noch, ihn rechtzeitig
wieder einzufangen. Barsine ließ sich den kleinen Sünder bringen, beugte sich
zu ihm hinab und drohte mit einschneidenden Maßnahmen für den Fall, dass er
sich nicht ab sofort anständig benahm. Paruschjati verstand die Aufregung nicht
ganz. Was konnte schon groß passieren, wenn der Junge über die Planke rannte?
Selbst wenn er ins Wasser fallen sollte, würde ihn einer von Barsines Eunuchen
ohne Zweifel sogleich wieder herausfischen.
„Was sagt Nearchos?“, kam Paruschjati auf das Thema zurück,
das ihr auf den Nägeln brannte. „Wenn überhaupt jemand, dann müsste er doch
Genaueres wissen!“
„Nearchos? Den habe ich schon seit Tagen nicht mehr
gesehen.“
Sie sahen Herakles nach, der nicht sonderlich beeindruckt
von der mütterlichen Standpauke wirkte. Er zappelte wie gewöhnlich, immerhin
brachte er es fertig, halbwegs manierlich an der Hand seiner Kinderfrau den
Landesteg zu überqueren.
„Und Eumenes?“
„Wie vom Erdboden verschluckt.“
„Stratokles und Ilioneus?“
„Haben heute den ganzen Tag Dienst. Hör zu: Ich will den Tag
mit meiner Tochter und meinen Schwestern in Vaters Landhaus vor der Stadt verbringen.
Komm doch einfach mit! Vielleicht weiß Ilissa etwas, schließlich ist sie
Nearchos’ Frau. Und wenn nicht, kommst du wenigstens einmal heraus aus diesem
Backofen – und auf andere Gedanken. Du siehst aus, als ob du ein bisschen
frische Luft vertragen könntest.“
Paruschjati warf einen Blick auf die Barke, die sich auf dem
Wasser hob und senkte. Sie hatte ihre Zweifel, ob das Geschwanke ihr guttun
würde, doch andererseits konnte es kaum noch schlimmer kommen. Seit dem frühen
Morgen war ihr übel. Obendrein hatte Mannuja ihr ständig in den Ohren gelegen,
den Ninmach-Tempel zu besuchen. Sollte sie wirklich schwanger sein, lief ihr
der Tempel nicht davon, und die Vorstellung von einem ruhigen Tag auf dem Land
war tatsächlich verlockend. Kurz entschlossen steuerte Paruschjati auf den Steg
zu. Herakles hatte längst wieder zu seiner alten Form zurückgefunden und
flitzte wie ein Wiesel auf dem Deck herum, verfolgt von seiner hart geprüften
Kinderfrau.
Draußen auf dem Fluss war es spürbar kühler, und es wurde noch
angenehmer, als sie auch die Vorstädte hinter sich gelassen hatten und zwischen
den grünen Gärten Babyloniens hindurchglitten. Paruschjati spürte, dass die
Fahrt ihr tatsächlich guttat. Ihre Übelkeit legte sich allmählich, sie
unterhielt sich angeregt mit Barsine und sah Herakles bei seinen Eskapaden zu.
Mit der Zeit wurde sie müde, das Plätschern des Wassers und der ebenmäßige
Schlag der Ruder lullten sie ein. Paruschjati schloss die Augen und ließ ihren
Erinnerungen freien Lauf.
Ein
rätselhaftes Lächeln lag auf den steinernen Gesichtern. Es war stets das
gleiche Gesicht – von einem Kopftuch umrahmt, gekrönt von einer sich
aufbäumenden Schlange. Das Gesicht eines längst vergessenen Königs, das über
einem Löwenkörper schwebte und voll Gelassenheit in die Ferne blickte.
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