Die Perserinnen - Babylon 323
Es
mussten Hunderte sein, Sphinxe, wie Barschina sie genannt hatte. Sie reihten
sich auf ihren Podesten aneinander und bildeten zwei Ketten rechts und links
der Straße.
Es war Barsines Idee gewesen herzukommen. Die Königinmutter
war anfangs nicht erbaut gewesen – was gab es für Parsa-Damen schon in den
zerbröckelnden Totenstädten der Einheimischen zu entdecken? Doch dann hatte
Paruschjati gesagt: „Ich möchte es sehen“, und zur Überraschung aller hatte
Sissingambri nachgegeben. Nun schlenderten die Mädchen und jungen Frauen,
standesgemäß eskortiert von Dienerinnen und Eunuchen und bewacht von
königlichen Gardisten, lachend und schwatzend unter ihren Sonnenschirmen durch
die Nekropole westlich der Hauptstadt. Barsine nannte sie Memphis, ihr richtiger
Name war unaussprechbar.
Ein halbes Jahr hatte Alexander benötigt, um die Stadt im
Meer – Tyros nannten sie die Eroberer – einzunehmen, dann war er mit seiner
Armee weitergezogen nach Mudraja. Der dortige Kschatrapavan kapitulierte
sofort. Die Einheimischen, die die Herrschaft der Parsa schon immer verabscheut
hatten, jubelten dem Eroberer zu wie einem Befreier. Demnächst würde er sich in
Memphis zum Pharao krönen lassen. Die Vorbereitungen für die Zeremonie (die
Einheimischen liebten pompöse Zeremonien) liefen auf vollen Touren.
Paruschjati blieb stehen, um sich einen Sphinx aus der Nähe
anzuschauen. Das Gesicht war rund und voll, sogar ein wenig pausbackig, mit
leicht nach oben gezogenen Mundwinkeln.
„Es ist tatsächlich immer das gleiche Gesicht, wie weit man
auf der Straße auch geht“, sagte eine Stimme, und Paruschjati fuhr herum. Sie
hatte Barsine nicht kommen sehen. Sie musste aus der Kapelle auf der anderen
Straßenseite getreten sein, die über und über mit Bildern und geheimnisvollen
Schriftzeichen in verblichenen Farben dekoriert war. Barsine war ausnahmsweise
einmal allein, ohne das Geschwader von Schwestern, Schwägerinnen und anderen
Verwandten, das sie sonst auf Schritt und Tritt begleitete.
Paruschjati erwiderte: „Die Priester sagen, es ist der
letzte einheimische König, der in Mudraja regiert hat, bevor Großkönig
Artakschatra ihn besiegt und vertrieben hat.“
„Du meinst: in Ägypten“ Barsine hatte Paruschjati auf
Griechisch angesprochen, doch vor Überraschung hatte diese auf Persisch
geantwortet.
„Natürlich, in Ägypten“, korrigierte sie sich auf
Griechisch. Das Erlernen der fremden Sprache fiel ihr leicht und machte Spaß,
deshalb sprach sie mit Barsine jetzt meistens griechisch, um zu üben. Außerdem
hatte sie begonnen, lesen und schreiben zu lernen, mit Barsines Hilfe und der
eines griechischen Buchs, das sie ihr geschenkt hatte.
Paruschjati ließ ihren Blick die Allee hinunterschweifen.
Ein menschenköpfiger Sphinx reihte sich an den anderen. In der Ferne schienen
sie sich auf ihren steinernen Sockeln zu einer Mauer zu verdichten, Pranke an
Pranke, Kopf an Kopf. Paruschjati ging weiter, und ihre Freundin blieb neben
ihr. Barsine hatte sich äußerlich verändert, sie trug nun eines der luftigen
Gewänder der Fremden und hatte ihr Haar zu einer komplizierten Frisur mit
gelockten Strähnen aufstecken lassen.
„Ist Frataguna wirklich krank?“, fragte sie.
„Eigentlich nicht“, gab Paruschjati zu. „Sie hatte nur keine
Lust mitzukommen.“
Barsine lachte. „Das dachte ich mir. Die Götter der Ägypter
sind für sie natürlich abscheuliche Daiva, deren Verehrung der Prophet verboten
hat.“
„Sie sehen ja auch seltsam aus, viele haben sogar
Tierköpfe.“
„Ägypten ist überhaupt ein seltsames Land. Sieh dich um!
Diese Tempel und Kapellen, die Schreine und Alleen – alles nur für die Toten.
Und dann diese von Menschen geschaffenen Berge, die hier schon seit tausend
Jahren in den Himmel ragen.“ Barsine wies mit ihrem Fächer auf die gewaltige
Pyramide, deren verwitterte Spitze hinter einer steinernen Umfassungsmauer
aufragte.
„Sie soll sogar schon zweitausend Jahre alt sein“,
erläuterte Paruschjati. „In dem Buch steht, die Ägypter haben die älteste
Kultur der Menschheit und verfügen über geheimes Wissen. Weiter im Norden gibt
es Pyramiden, die sogar noch größer sind als diese hier, dafür aber nicht ganz
so alt.“
Barsine sah Paruschjati von der Seite an und lächelte. „Du
interessierst dich wirklich für das, was in dem Buch steht, nicht wahr?“
„Oh ja. Alles ist für mich so neu und interessant. Ich meine
… aus Büchern kann man etwas über ferne Länder und
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