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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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ähnliches, und man konnte nicht zweifeln, daß viele davon Pestkranke waren; aber da es für die Familien von äußerster Wichtigkeit war, nicht als pestbefallen bekannt zu werden, wenn es sich irgend vermeiden ließ, so griff man zu jedem erdenklichen Mittel, um es abzuleugnen, und wenn jemand im Hause starb, versuchte man es bei den Gesundheitsinspektoren und Leichenbeschauerinnen zu erreichen, daß eine andere Todesursache angegeben wurde.
    Dies, sage ich, ist die Erklärung für den langen Zeitraum, der, wie gesagt, zwischen den ersten Meldungen von Pesttoten auf dem Register und der Zeit der offenen und nicht mehr zu verheimlichenden Verbreitung der Pest lag.
    Außerdem verraten die Register aus jener Zeit selbst den wahren Tatbestand; denn während der Pest keine Erwähnung getan wurde und nichts von ihrem Anwachsen zu bemerken war, nachdem man sie einmal erwähnt hatte, so war es doch offenbar, daß es ein Anwachsen jener Krankheiten gab, welche der Pest am verwandtesten sind; zum Beispiel hieß es da: acht, zwölf, siebzehn Tote am Fleckfieber, aber gleichzeitig keiner oder nur sehr wenige an der Pest; wo doch früher einer, drei oder vier die gewöhnlichen Zahlen in der Woche für diese Krankheit waren. Ebenso nahmen die Beerdigungen, wie ich schon berichtet habe, in der betreffenden Pfarre und den ihr benachbarten Pfarren mehr als anderswo zu, und doch war nie die Pest als die Ursache dafür angegeben; all das zeigt uns, daß die Infektion weitergegeben wurde und die Seuche ihren natürlichen Fortpflanzungsweg einhielt, obwohl es uns so schien, als habe sie zu der Zeit aufgehört und sei dann auf unerklärliche Art wiedergekommen.
    Es kann auch sein, daß die Infektion in anderen Stücken 263

    jenes Güterpakets verblieben sein mag, in welchem sie ursprünglich bei uns ankam und das man vielleicht gleich vollends auspackte; oder sie hielt sich in den Kleidern dessen, der zuerst infiziert wurde; denn ich kann mir nicht denken, daß jemand von der Ansteckung ergriffen wird und trotz seines zum sicheren Tode führenden Zustandes sich einer so guten Gesundheit erfreuen kann, daß er neun Wochen lang nicht einmal selbst etwas davon bemerkt; jedoch wenn das der Fall ist, dann ist es nur ein um so schlüssigerer Beweis für das, was ich behaupte, nämlich daß die Ansteckung sich in dem Anschein nach gesunden Menschen aufhält und von ihnen auf andere, mit denen sie Umgang haben, übertragen wird, ohne daß es weder die einen noch die anderen wissen.
    Groß war damals die Verwirrung gerade dieserhalb, und als die Leute sich erst überzeugen ließen, daß man die Ansteckung auf diese erstaunliche Weise von Personen, die anscheinend gesund sind, empfing, begannen sie außerordentlich zurückhaltend und mißtrauisch gegen jeden zu werden, der ihnen nahekam. Einmal, an einem allgemeinen Gebetstage – ob es ein Sabbat war oder nicht, weiß ich nicht mehr – geschah es in der Aldgate Kirche, daß in einer Bank voller Menschen eine Frau plötzlich vermeinte, einen üblen Geruch zu riechen. Sofort glaubte sie, die Pest sei in der Bank, flüsterte ihre Idee oder ihren Verdacht der nächsten zu und steht dann auf und verläßt die Bank. Die Nachbarin packte es auch sogleich und ebenso alle andern; und jedermann in der Bank und in zwei oder drei anschließenden stand auf und verließ die Kirche, ohne daß einer gewußt hätte, was ihn belästigt hatte und von wem es kam.
    Dies ließ gleich jeden wieder dieses oder jenes Präparat schlucken, so wie es die alten Weiber verschrieben oder wie es vielleicht auch die Ärzte verschrieben, um die Infektion durch den Atem anderer zu verhindern; und das ging so weit, daß, wenn man in eine irgend nur besuchte Kirche eintrat, einem am 264

    Eingang ein solches Durcheinander der Gerüche entgegenweh-te, wie man es beim Eintritt in einen Apotheker- oder Drogi-stenladen nicht so stark findet, wenn es dort auch gesünder sein mag. In einem Wort, die ganze Kirche war wie eine Riechfla-sche; in einer Ecke duftete alles nach Parfümen; in der anderen nach allen möglichen Drogen und Kräutern, Balsamen und Aromaten; in der nächsten wieder nach Riechsalz und alkoholi-schen Essenzen, eben ganz wie jeder sich zur eigenen Bewahrung versehen hatte. Doch konnte ich beobachten, daß, nachdem der Glaube oder vielmehr die Überzeugung von den Leuten Besitz ergriffen hatte, daß, wie gesagt, die Infektion so von anscheinend gesunden Menschen weitergetragen wird, die Kirchen und Gebetshäuser viel

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