Die Pest zu London
bekanntzumachen und festzustellen: so war es.
Wie das arme Volk hinter die Sinnlosigkeit dieser Dinge kam und wie viele von ihnen später im Totenkarren hinausgefahren und in eines der Bezirksmassengräber geworfen wurden, mit all diesen höllischen Zauberketten und dem ganzen Hokuspo-45
kus um ihren Hals, das soll später noch berichtet werden.
All dies war die Folge von der Aufregung, in die die Leute versetzt wurden, nachdem die erste Kunde, daß die Pest da sei, sich herumgesprochen hatte; das mag etwa bei Michaelis 1664
gewesen sein, und dann ganz besonders, als die beiden Personen anfangs Dezember in St. Giles gestorben waren; und dann wieder, als im Februar ein neuer Alarm kam. Aber als die Pest sich offensichtlich ausbreitete, dauerte es nicht lange, bis sie begriffen, wie dumm es war, diesen nichtswürdigen Kreaturen Glauben zu schenken, die sie um ihr Geld geprellt hatten; und dann wirkte sich ihre Furcht in anderer Weise aus, nämlich in Benommenheit und Ratlosigkeit, daß sie nicht wußten, welchen Weg sie einschlagen oder was sie tun sollten, um sich zu helfen oder Erleichterung zu verschaffen. Statt dessen liefen sie herum, von eines Nachbarn Tür zur nächsten und sogar bis auf die Straße und wieder von Tür zu Tür, und schrien immer nur:
»Herr, habe Erbarmen mit uns! Was sollen wir tun?«
Die Leutchen waren allerdings in einer Hinsicht besonders zu bedauern, und da gab es für sie wenig oder gar keinen Trost, und ich möchte das mit aller gebührenden Ehrfurcht und Nachdenklichkeit hier erwähnen, auch wenn vielleicht nicht jeder, der es liest, davon erbaut sein wird, nämlich daß der Tod jetzt sozusagen nicht nur über jedermanns Haupt schwebte, sondern nunmehr in ihre Häuser und Kammern hineinschaute und ihnen ins Gesicht starrte. Freilich gab es viel Trägheit und Abgestumpftheit des Herzens, und nicht zu wenig davon, jedoch dafür fühlten sich andere, wenn ich so sagen darf, bis ins Innerste ihrer Seele aufgeschreckt. So manches Gewissen erwachte; manches harte Herz zerschmolz zu Tränen; manch eine reumütige Beichte ward abgelegt von Verbrechen, die lange verborgen worden waren. Es würde jeden Christen in der Seele schmerzen, hätte er mitanhören müssen, wie da manch ein verzweifeltes Menschenkind im Sterben stöhnte, und keiner wagte, ihm nahezukommen und ihm Trost zu spenden. Manch 46
ein Raub, manch ein Mord wurde damals laut bekannt, und niemand blieb am Leben, um das Geständnis aufzuzeichnen.
Man konnte, sogar von der Straße aus im Vorbeigehen, hören, wie die Menschen zu Gott durch Jesus Christus um Gnade flehten und bekannten: »Ich bin ein Dieb gewesen«, »Ich war ein Ehebrecher«, »Ich habe einen Mord begangen« und dergleichen, und niemand traute sich, solchen Dingen im geringsten nachzugehen oder den armen Menschenkindern Trost zu spenden, die da in Todesängsten von Leib und Seele auf-schrien. Einige der Geistlichen machten zu Anfang für eine Weile noch Krankenbesuche, aber es ging nicht an. Es wäre der sofortige Tod gewesen, manche der Häuser zu betreten. Sogar die Totenbestatter, die die kaltblütigsten Geschöpfe in der Stadt waren, schraken manchmal zurück und waren so entsetzt, daß sie in Häuser, wo ganze Familien zusammen dahingerafft und die Umstände ganz besonders schauerlich waren, wie es vorkam, nicht hineinzugehen wagten; aber das war freilich in der ersten Hitze der Seuche.
Die Zeit gewöhnte sie an alles, und späterhin trauten sie sich überall ohne Zögern hinein, wie ich noch des breiteren zu schildern Gelegenheit haben werde.
Ich setze jetzt voraus, daß die Pest, wie gesagt, begonnen hat und daß die Behörden ihre ersten ernsthaften Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung erwogen. Welche Vorschriften sie für die Einwohner und für die betroffenen Häuser erließen, werde ich an gegebener Stelle berichten; was hingegen die Gesund-heitsfürsorge betrifft, so ist es angebracht, hier folgendes zu erwähnen: Nachdem er gesehen hatte, wie die Leute in ihrem Unverstand zu Quacksalbern und Marktschreiern, zu Hellsehern und Wahrsagern liefen, was sie ja, wie ich oben erzählt habe, bis zum Wahnwitz taten, ernannte unser Lordbürgermeister, der ein praktisch denkender und frommer Herr war, Ärzte und Wundärzte für die Behandlung der erkrankten Armen –
und im besonderen ordnete er an, daß die Medizinische Hoch-47
schule Anleitungen für den Gebrauch billiger Heilmittel für alle Erscheinungsformen der Seuche veröffentlichte. Das war in
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