Die Pest zu London
auch nur zu denken; und besonders dieser Spott und Hohn über alles, was ihnen an Frömmigkeit unter den Leuten vor die Augen kam, etwa wenn sie voll Eifer zum Ort öffentlicher Gottesdienste strömten, um in solcher Notzeit den Himmel um Erbarmen anzuflehen; und daß die Schänke, in welcher sie ihre Clubsit-zungen abhielten, in Sichtweite der Kirchentür lag, das gab ihnen nur noch mehr Anlaß für ihre gottlosen, schimpflichen 88
Belustigungen.
Aber dies ließ bei ihnen schon ein wenig nach, auch schon bevor jenes Unglück sich ereignete, von dem ich eben sprach, denn die Seuche nahm jetzt in diesem Teil der Stadt mit solcher Heftigkeit zu, daß die Leute sich zu fürchten begannen, zur Kirche zu kommen; wenigstens suchten sie sie nicht mehr in so großer Zahl auf, wie gewohnt. Auch waren viele der Geistlichen gestorben, andere aufs Land gegangen; es erforderte nämlich in der Tat einen festen Mut und einen starken Glauben, wenn ein Mann es nicht nur auf sich nahm, zu einer solchen Zeit in der Stadt zu bleiben, sondern wenn er auch noch wagte, in die Kirche zu gehen und das Amt eines Gottes-dieners an einer Gemeinde auszuüben, von der er allen Grund hatte anzunehmen, daß viele in ihr tatsächlich von der Pest befallen waren und wenn er es jeden Tag tat, oder zweimal am Tage, wie es mancherorts geschah.
Allerdings zeigten die Leute einen außerordentlichen Eifer in diesen frommen Übungen, und da die Kirchentüren immer geöffnet waren, pflegten die Leute zu allen Zeiten einzeln hineinzugehen, ob ein Geistlicher Gottesdienst hielt oder nicht, und sich in einen Kirchstuhl einzusperren und mit großer Andacht und Inbrunst zu Gott zu beten.
Andere versammelten sich in Gebetshäusern, jeder wie ihn seine besondere Glaubensrichtung leitete, aber alle waren ohne Unterschied der Gegenstand für dieser Männer Witzeleien, besonders am Anfang der Heimsuchung.
Es scheint, sie waren für ihre derartig offenen Beleidigungen der Religion von verschiedenen guten Leuten jeder Konfession zur Rede gestellt worden, und dies sowohl wie das heftigere Wüten der Seuche waren anscheinend die Gründe, daß sie in ihrer Rohheit schon eine Zeitlang weitgehend nachgelassen hatten; sie wurden nur wieder vom Geist der Lästerung und der Gottlosigkeit erfaßt, als mit dem Hereinbringen jenes Herrn eine gewisse Unruhe entstand, und vielleicht wurden sie vom 89
selben Teufel wieder gepackt, als ich es unternahm, sie zu-rechtzuweisen; freilich hatte ich es anfangs mit all der Ruhe, Gelassenheit und Höflichkeit getan, die ich aufbringen konnte, aber dafür beschimpften sie mich eine Weile nur um so mehr, weil sie meinten, es sei aus Furcht vor ihrem Groll geschehen; später fanden sie dann freilich heraus, daß das Gegenteil der Fall war.
Ich ging heim, in der Seele tief betrübt und bekümmert ob der scheußlichen Bosheit jener Männer, jedoch nicht im Zweifel, daß an ihnen Gottes Gerechtigkeit ein furchtbares Exempel statuieren werde; denn ich betrachtete diese grauenvolle Zeit als die ausgesuchte Stunde der Göttlichen Rache und war überzeugt, daß Gott bei dieser Gelegenheit die eigentlichen Gegenstände Seines Mißfallens auf deutlichere und merkliche-re Art aussondern werde als zu anderen Zeiten; und obwohl ich freilich glaubte, daß viele guten Menschen in der allgemeinen Katastrophe untergehen würden, und untergingen, und daß es keine verläßliche Richtschnur war, irgend jemandes ewige Bestimmung danach zu beurteilen, ob er in solch einer Zeit der allgemeinen Vernichtung auf die eine oder andere Weise hervorgehoben wurde, so konnte es mir dennoch, sage ich, nicht anders als vernünftig erscheinen anzunehmen, daß es Gott nicht Wohlgefallen werde, gnädig so offen erklärte Feinde zu verschonen, die sich herausnahmen, Seinen Namen und Sein Wesen zu beleidigen, Seiner Rache zu trotzen und zu einer solchen Zeit Seine Verehrung und Seine Verehrer zu verspot-ten; nein, gewiß nicht, obwohl es Ihm in Seinem Erbarmen Wohlgefallen hatte, sie zu anderen Zeiten zu ertragen und zu verschonen; denn dies war der Tag der Heimsuchung, der Tag von Gottes Zorn, und jene Worte kamen mir in den Sinn, Jeremias, Vers 9: »Und ich sollte sie um solches nicht heimsuchen? spricht der Herr, und meine Seele sollte sich nicht rächen an solchem Volk, wie dies ist?«
Diese Gedanken, sage ich, lasteten auf meiner Seele, und ich 90
ging heim, sehr betrübt und bedrückt vor Entsetzen über jener Männer Bosheit; wie konnte man nur so
Weitere Kostenlose Bücher