Die Pest Zu London
mordeten; manche, die vom reinen Kummer überwältigt wurden, manche, die ohne jede Ansteckung, nur aus Schreck und Bestürzung starben; andere, die das Entsetzen in den Schwachsinn oder zu albernen Verrücktheiten trieb oder in Verzweiflung und Wahn oder wieder andere in melancholische Schwermut.
Der Schmerz der Geschwülste im besonderen war äußerst heftig und für manche unerträglich; und man kann sagen, daß die Ärzte manch ein armes Geschöpf gar zu Tode gemartert haben. Wenn bei manchen die Geschwülste hart wurden, legten sie Ziehpflaster oder Breiumschläge auf, um sie zum Aufbrechen zu bringen, und wenn das nicht half, schnitten sie die Geschwüre und stachen sie auf, was fürchterlich war. Bisweilen wurde die Härte nur zu einem Teil durch die Gewalt der Krankheit, zum andern aber dadurch hervorgerufen, daß zu gewaltsam an ihnen herumkuriert wurde, und sie wurden so hart, daß sie sich mit keinem Instrument schneiden ließen, und dann brannte man sie mit Ätzmitteln, so daß viele, rasend vor Schmerzen, dabei starben, und manche mitten in der Operation.
In dieser äußersten Not legten manche Hand an sich, wie oben, und es gab ja auch zu wenig Hilfskräfte, um sie im Bett festzuhalten oder sie zu beaufsichtigen. Manche brachen auf die Straße aus, nackt vielleicht, und liefen dann geradewegs zum Fluß hinunter, und wenn sie nicht durch Wachmänner oder Polizisten aufgehalten wurden, stürzten sie sich ins Wasser, sobald sie es erreichten.
Es schnitt mir oft die Seele entzwei, das Stöhnen und Schreien zu hören, wenn sie so gequält wurden, aber wenn die Krankheit so ausschlug, galt es noch als die hoffnungsvollste ihrer Erscheinungsformen; denn sobald diese Geschwülste zum Aufbrechen und Auslaufen oder, wie die Wundärzte sagen, zur Ausscheidung gebracht werden konnten, wurde der Patient gewöhnlich wieder gesund; wohingegen diejenigen, die sogleich vom Tod getroffen wurden und die Anzeichen der Pest erst hinterher offenbarten, oft bis kurz vor dem Tod, ohne eine Veränderung zu spüren, umhergingen, manche bis zu dem Augenblick, wo sie umfielen, so wie es bei Schlaganfällen oder bei Epileptikern oft geschieht. Solche fühlten sich dann plötzlich sehr krank und konnten nur noch zu einer Bank oder einem Mauervorsprung oder sonst einem bequemeren Ort, der sich gerade bot, hinlaufen, oder wenn möglich noch bis in ihr eigenes Haus, wie ich es vorher erwähnte, und dort niedersitzen, schwach werden und sterben. Diese Art des Sterbens war ziemlich die gleiche wie bei denen, die an dem gewöhnlichen kalten Brand sterben; man stirbt wie in einer Ohnmacht und geht sozusagen im Traum dahin. Die, die so starben, hatten wenig davon gemerkt, daß sie überhaupt angesteckt waren, bevor der Brand sich durch den ganzen Körper gefressen hatte; nicht einmal die Ärzte konnten mit Sicherheit wissen, wie es mit ihnen stand, bis sie ihnen die Brust oder andere Körperteile öffneten und dann die Zeichen sahen.
Wir bekamen zu dieser Zeit eine Menge gräßlicher Geschichten zu hören, von Krankenwärtern und Wachmännern, die nach den Sterbenden sahen; nämlich, daß bezahlte Pfleger und Pflegerinnen die Seuchekranken, die sie warteten, barbarisch behandelten, sie verhungern, ersticken ließen oder mit anderen bösartigen Mitteln ihr Ende beschleunigten, das heißt, sie ermordeten; und daß Wachmänner, wenn sie ein verschlossenes Haus zu bewachen hatten, in welchem nur noch ein einziger Bewohner übrig war, und der vielleicht krank lag, in das Haus eindrangen und denjenigen umbrachten und ihn sogleich auf den Totenkarren warfen, so daß er, noch kaum erkaltet, ins Grab mußte!
Es läßt sich wohl nicht abstreiten, daß einige solcher Morde tatsächlich verübt wurden, und zwei Männer, glaube ich, wurden dafür in Gefängnishaft genommen, starben jedoch, bevor man ihnen den Prozeß machen konnte; und von drei anderen habe ich gehört, daß sie, zu verschiedenen Zeiten, von einer solchen Mordanklage freigesprochen wurden; ich muß indes sagen, daß ich nicht glaube, dies sei ein so allgemein verbreitetes Verbrechen gewesen, wie manche seither zu behaupten belieben; und es läßt sich auch kaum ein Grund dafür einsehen, denn wo die Menschen einmal so schwach waren, daß sie sich selbst nicht mehr helfen konnten – und solche wurden selten wieder gesund – da war gar keine Versuchung, einen Mord zu begehen, jedenfalls keine angesichts der Tatsache, daß dies sichere Todeskandidaten waren, die in kurzer Zeit
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