Die Pest Zu London
sterben würden und keine Hoffnung mehr hatten.
Daß Raub und Diebstahl und üble Vergehen auch zu dieser schaudervollen Zeit im Schwange waren, will ich nicht leugnen. Die Macht der Habgier war in manchen so stark, daß sie jedes Risiko eingegangen wären, um zu stehlen und zu plündern; und besonders in Häusern, wo alle Parteien oder Einwohner tot waren, pflegten sie ohne Bedenken einzubrechen und, ohne der Gefahr der Ansteckung zu achten, den Toten sogar die Kleider wegzunehmen und das Bettleinen von den Bahren.
So muß es wohl bei der Familie in Houndsditch gewesen sein, wo ein Mann und seine Tochter – die übrige Familie war, wie ich annehme, schon vorher auf dem Totenkarren davongefahren worden – splitternackt aufgefunden wurden, jeder in seiner Kammer tot auf dem Boden liegend, und das Leinenzeug der Betten, aus denen sie anscheinend von den Dieben hinausgerollt worden waren, gestohlen und vollständig mitgenommen.
Man mußte in der Tat beobachten, daß in diesem ganzen Unglück die Frauen sich als die unbesonnensten, bedenkenlosesten und unvernünftigsten Geschöpfe zeigten, und da es eine große Anzahl gab, die als Krankenwärterinnen zur Pflege der Pestkranken herumgingen, wurden von ihnen in den Häusern, wo sie beschäftigt waren, viele kleine Diebereien begangen; und einige von ihnen wurden dafür öffentlich ausgepeitscht, während sie vielleicht besser als abschreckendes Beispiel hätten gehängt werden sollen, denn zu viele Häuser wurden bei diesen Gelegenheiten beraubt, bis schließlich Gemeindebeamte eingesetzt wurden, die die Vermittlung von Krankenwärterinnen an die Kranken übernahmen und darüber Buch führten, wen sie jedesmal empfohlen hatten, so daß sie die Betreffende zur Rechenschaft ziehen konnten, wenn in einem Haus etwas abhanden gekommen war.
Aber diese Diebstähle erstreckten sich hauptsächlich auf Kleidung, Leinzeug und was an Ringen oder Geld ihnen in die Hände fallen konnte, wenn der Patient, den sie zu versorgen hatten, starb; zu einer allgemeinen Plünderung jedoch kam es selten; und ich könnte von einer dieser Pflegerinnen berichten, die mehrere Jahre später, auf dem Totenbett, mit tiefstem Abscheu die Diebstähle eingestand, die sie während ihrer Zeit als Krankenwärterin begangen hatte und durch die sie sich in hohem Maße bereichert hatte. Aber was das Morden angeht, so kann ich nicht finden, daß in der Art, wie darüber berichtet wurde, jemals ein Beweis für ihre Tatsächlichkeit erbracht worden ist, ausgenommen wie oben.
Zwar erzählte man mir von einer Krankenschwester irgendwo, die einem im Sterben liegenden Patienten, den sie pflegte, ein nasses Tuch auf das Gesicht gelegt, nachdem er gerade ausgeatmet hatte, und so seinem Leben ein Ende gesetzt habe; und von einer anderen, die eine junge Frau, die in ihrer Pflege war, erstickt habe, als sie sich in einem Ohnmachtsanfall befand, aus dem sie wieder zu sich gekommen wäre; ob sie sie umbrachten, indem sie ihnen dies eingaben oder jenes, oder ob sie sie verhungern ließen, indem sie ihnen überhaupt nichts gaben – jede dieser Geschichten hatte immer zwei verdächtige Merkmale an sich, die mich veranlaßten, sie abzutun und sie alle als reine Erfindungen anzusehen, mit denen Leute einander beständig Angst machten. Das erste war, daß, wo immer wir davon hörten, der Schauplatz stets in das andere Ende der Stadt verlegt wurde, möglichst in entgegengesetzter Richtung und weit entfernt von da, wo es erzählt wurde. Wenn man es in Whitechapel hörte, dann hatte es sich in St. Giles zugetragen oder in Westminster oder Holborn oder jener Gegend der Stadt. Wenn man dort davon hörte, dann war es in Whitechapel oder in der Minoritenpfarre oder in Cripplegate geschehen. Wenn man es in der City hörte, war es in Southwark geschehen, und wenn man es in Southwark hörte, war es in der City geschehen und so fort.
Und das zweite Merkmal: Wo immer es sich abgespielt haben sollte, die Einzelheiten waren stets die gleichen, besonders daß ein feuchter Lappen einem Sterbenden auf das Gesicht gelegt worden sein soll und daß eine junge vornehme Dame erstickt worden sei; so war es offenbar, wenigstens nach meinem Dafürhalten, daß daran mehr Dichtung als Wahrheit war.
Ich muß jedoch zugeben, daß es seine Wirkung auf die Leute hatte, und insonderheit, daß sie, wie ich schon sagte, mehr darauf achteten, wen sie zu sich ins Haus nahmen und wem sie ihr Leben anvertrauten, und daß man sich nach Möglichkeit immer
Weitere Kostenlose Bücher