Die Pest Zu London
verschiedene scheußliche Szenen dieser Art. Andere, unfähig sich noch zu beherrschen, erleichterten sich von dem Schmerz durch unaufhörliches Brüllen, und wenn wir über die Straße gingen, mußten wir so laute und jammervolle Schreie hören, daß es einem das Herz durchdringen konnte, wenn man nur daran dachte, zumal immer zu erwägen war, daß die gleiche gräßliche Pein jeden Augenblick uns selber ergreifen konnte.
Ich muß eingestehen, daß ich jetzt begann, in meinem Entschluß wankend zu werden; meine Zuversicht hatte mich verlassen, und ich bereute bitter meine Leichtfertigkeit. Wenn ich ausgewesen war und solch schreckliche Dinge erlebt hatte wie die, von denen ich eben sprach, dann, sage ich, bereute ich meine Leichtfertigkeit, so verwegen in der Stadt auszuharren. Ich wünschte oft, ich hätte es nicht auf mich genommen dazubleiben, sondern wäre mit meinem Bruder und seiner Familie fortgegangen.
Vom Entsetzen über diese fürchterlichen Eindrücke getrieben, ging ich dann heim, und es war mehr als einmal, daß ich mich entschloß, nie wieder auszugehen; und diesen Vorsatz pflegte ich auch drei oder vier Tage zu halten, welche Zeit ich in der aufrichtigsten Dankbarkeit für meine Bewahrung und die Bewahrung meines Hausstandes verbrachte und mit dem ständigen Bekenntnis meiner Sünden, indem ich mich jeden Tag Gott anheimgab und mich mit Fasten, Bußübungen und Meditationen Ihm zuwandte. Jede freie Zeit, die ich hatte, benutzte ich, um Bücher zu lesen und mir über alles, was mir jeden Tag auffiel, Notizen zu machen, denen ich später auch den größten Teil dieses Werkes entnommen habe, soweit es meine Beobachtungen außer dem Hause betrifft. Was ich von meinen persönlichen Überlegungen aufschrieb, behalte ich mir für meinen privaten Gebrauch vor, und ich möchte nicht, daß es, zu welchem Behuf auch immer, veröffentlicht werde.
Ich schrieb außerdem auch Betrachtungen über Gegenstände der Religion, so wie sie mir zu der Zeit einkamen und mir selbst Gewinn brachten, ohne in irgendeiner anderen Hinsicht brauchbar zu sein, und deshalb will ich darüber schweigen.
Ich hatte einen sehr guten Freund, einen Arzt, Heath mit Namen, den ich während dieser trübseligen Zeit oft besuchte und dem ich mich sehr verpflichtet fühlte; gab er mir doch gute Ratschläge, welche Mittel ich gebrauchen sollte, um der Ansteckung vorzubeugen, wenn ich ausging – (er wußte, daß ich das häufig tat) – und was ich im Munde halten sollte, solange ich auf der Straße war. Er kam auch oft, mich zu besuchen, und da er ein ebenso guter Christ wie Arzt war, fand ich an seiner angenehmen Unterhaltung einen starken Halt in den schlimmsten Tagen dieser schrecklichen Zeit.
Es war jetzt Anfang August, und die Pest wurde in dem Viertel, wo ich wohnte, immer heftiger und fürchterlicher, und Dr. Heath kam mich wieder einmal besuchen, und da er wußte, daß ich mich so oft auf die Straße hinauswagte, redete er mir ernsthaft zu, mich mit meiner Familie im Hause einzuschließen und keinem von uns mehr zu gestatten, auszugehen; alle Fenster fest verschlossen zu halten, Läden und Vorhänge dicht zu schließen und sie niemals zu öffnen; sondern zuerst in dem Raum, wo ein Fenster oder eine Tür geöffnet werden sollten, einen starken Rauch zu entfachen, mit Harz und Pech, Schwefelstein oder Schießpulver und dergleichen; und das taten wir auch eine Zeitlang; aber da ich für eine solche Zurückgezogenheit keine Vorräte an Lebensmitteln angelegt hatte, war es unmöglich, daß wir uns vollständig innerhalb des Hauses hielten; ich versuchte jedoch, wenngleich es dafür reichlich spät war, dieserhalb etwas nachzuholen; und zuerst, da ich die Möglichkeit zum Backen und Brauen hatte, ging ich und kaufte zwei Säcke Mehl, und mehrere Wochen lang buken wir unser Brot im eigenen Ofen; ebenso kaufte ich Malz und braute soviel Bier, wie all die Fässer, die ich hatte, fassen konnten, und das schien für unseren Gebrauch auf fünf oder sechs Wochen auszureichen; ich legte auch einen Vorrat an Salz, Butter und Cheshire Käse an; aber das Fleisch hatte ich nicht, und die Pest wütete so heftig unter den Metzgern und Schlächtern auf der anderen Seite unserer Straße, wo sie in großer Anzahl ansässig sind, daß es nicht ratsam erschien, auch nur über die Straße zu ihnen zu gehen.
Und hier muß ich wieder bemerken, daß diese Notwendigkeit, außer Haus zu gehen, um einzukaufen, in großem Maße der Ruin der ganzen Stadt war, denn
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