Die Pest Zu London
mehr zu ihr, und auf diese Weise kam sie davon. Aber als ich eben beim Tor war, sah ich zwei weitere Frauen, wieder mit Hüten auf dem Kopf und unter dem Arm, herauskommen und den Hof überqueren, worauf ich die Tür hinter mir zuwarf, so daß das Schnappschloß einsprang, und mich den Frauen zuwandte. »Fürwahr«, sagte ich, »was tut Ihr hier?« und griff nach den Hüten, um sie ihnen fortzunehmen. Die eine, die, wie ich gestehen muß, nicht nach einer Diebin aussah, sagte: »Wir mögen freilich im Unrecht sein, aber man hat uns gesagt, sie hätten keinen Besitzer. Bitte, nehmt sie zurück; und schaut dort hinüber, da sind mehr solche Kunden wie wir.« Sie weinte und sah mitleiderregend aus, also nahm ich ihr die Hüte ab, öffnete das Tor und hieß sie beide gehen, denn die Frauen taten mir wirklich leid; aber als ich nach dem Lagerhaus blickte, wie sie mir bedeutet hatte, da waren noch einmal sechs oder sieben, lauter Frauen, die Hüte für sich anprobierten, und so unbekümmert und ruhig, als seien sie in einem Hutladen und kauften für ihr Geld ein.
Ich war verdutzt, nicht nur durch den Anblick so vieler Einbrecher, sondern auch durch die Lage, in die ich mich versetzt sah; da sollte ich mir nun unter so vielen Leuten Geltung verschaffen, wo ich doch wochenlang so menschenscheu gewesen war, daß ich jedesmal auf die andere Straßenseite auswich, wenn ich unterwegs jemandem begegnete!
Sie waren gleichfalls überrascht, wenn auch aus anderem Grund. Sie sagten mir alle, sie seien aus der Nachbarschaft und daß sie gehört hätten, jeder könne sich davon holen, und daß diese Hüte herrenloses Gut seien und dergleichen.
Ich spielte zuerst den starken Mann, ging zum Tor zurück, zog den Schlüssel ab, so daß sie alle meine Gefangenen waren, drohte, sie allesamt im Magazin einzusperren und die Amtsgewalt herbeizurufen.
Sie baten und bettelten, versicherten, sie hätten das Tor offen vorgefunden und das Lagerhaus unverschlossen; und daß es bestimmt von jemand aufgebrochen worden sei, der Gegenstände von größerem Wert zu finden gehofft habe, und das war allerdings kein unvernünftiger Gedanke, denn das Schloß war erbrochen, und das Vorhängeschloß, das an der Außenseite angebracht war, hing lose, und von den Hüten waren nicht allzu viele verschwunden.
Schließlich sagte ich mir, daß dies nicht die Zeit war, grausam und hartherzig zu sein; und außerdem hätte es mir die Notwendigkeit auferlegt, viele Gänge zu machen, verschiedene Leute bei mir einzulassen und andere zu besuchen, über deren Gesundheitszustand ich völlig in Unkenntnis war; während gerade zu dieser Zeit die Pest so tobte, daß 4000 in einer Woche starben, hätte es mich, wollte ich Empfindlichkeit zeigen oder auch nur dem Hab und Gut meines Bruders Recht verschaffen, das Leben kosten können; so begnügte ich mich, ihre Namen aufzunehmen und von einigen, die zur nächsten Nachbarschaft gehörten, den Wohnort, und ihnen anzudrohen, mein Bruder werde sie, wenn er nach London zurückkehre, zur Rechenschaft ziehen.
Dann ging ich auf eine andere Tonart über und fragte sie, wie sie so etwas hätten tun können, zu der Zeit einer solchen allgemeinen Notlage und sozusagen Gottes furchtbarem Strafgericht ins Angesicht widerstehend, da doch die Pest so dicht vor ihrer Tür stehe und vielleicht – sie könnten es nicht wissen
– schon bei ihnen im Hause sei und der Totenkarren möglicherweise in ein paar Stunden bereits vor ihrer Tür halten werde, um sie in ihr Grab zu fahren.
Ich hätte nicht sagen können, daß ich mit meiner Rede großen Eindruck auf sie machte, aber dann traf es sich, daß zwei Männer aus der Nachbarschaft herbeikamen; sie hatten den Streit gehört, und da sie meinen Bruder kannten – sie hatten beide einmal zu seinem Hauswesen gehört – kamen sie mir beizustehen. Nachbarn, die sie, wie gesagt, waren, kannten sie sogleich drei der Frauen und sagten mir, wer sie waren und wo sie wohnten; und sie hatten mir, scheint es, vorher wahre Angaben über sich gemacht.
Diese beiden Männer sind mit einer weiteren Erinnerung verknüpft. Der eine hieß John Hayward, und er war zu der Zeit Unterküster in der St. Stephen Pfarre in der Coleman Straße. Unterküster bedeutete damals soviel wie Totengräber und Leichenträger. Dieser Mann schaffte alle Toten, die in der großen Pfarre beerdigt wurden, in ihr Grab, oder half dabei, zuerst noch in der Form der feierlichen Bestattung, später, als man damit aufhörte, ging er mit
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