Die Pestärztin
einen Stich im Herzen.
Im Großen und Ganzen genoss sie jedoch das nach dem Winter wiedererwachende Leben in Landshut. Der Ort war als Handelsstadt prädestiniert, und jetzt, im Frühling, kamen täglich neue Warenlieferungen aus den entferntesten Ländern. Auf den Märkten roch es nach exotischen Gewürzen und frischen Gartenkräutern. Und alle Welt sprach von dem bevorstehenden Frühlingsfest auf der Burg. Die Landesherren - Niederbayern wurde zurzeit von drei Herzögen regiert, alles Söhne des kürzlich verstorbenen Kaisers Ludwig - liebten Turnierkämpfe und richteten mindestens einmal im Jahr Ritterspiele aus. Diesmal sollte es in den letzten Apriltagen so weit sein, und die Menschen in der Stadt konnten sich vor Vorfreude kaum halten. Die Herzöge waren großzügig. Vor allem der älteste, Herr Stephan, wurde vom Volk geschätzt. Alle drei aber überboten sich mit Wohltaten für die Bürger; es würde Freibier, Brei und Fleisch geben, so viel jeder essen wollte. Dazu fanden die Kämpfe auf den Wiesen zwischen Stadt und Burg statt, und jeder konnte zuschauen. Für die Armen von Landshut war dieses Ereignis der Höhepunkt des Jahres. Aber auch die Handwerker und Kaufleute freuten sich, erwarteten sie doch einen Zusatzverdienst. Sattler und Harnischfeger würden sich vor Aufträgen kaum retten können, die Verpflegung der Ritter würde Köche und Bierbrauer beschäftigen, und obendrein nahm nicht jeder Ritter die Gelegenheit wahr, sein Zelt auf den Wiesen am Isarstrand aufzustellen. Besonders die begüterten Kämpfer nahmen stattdessen gern Logis in der Stadt - gerade jetzt im Frühling, wo das Wetter noch unsicher war. Bei Regen wurden Turniere schnell zur Schlammschlacht, und es konnte durchaus kampfentscheidend sein, ob ein Ritter wenigstens bei Nacht Ruhe und ein trockenes Plätzchen zur Erholung fand oder in undichten Zelten auf feuchten Strohsäcken schlief.
Viele Handwerkerfamilien räumten deshalb jetzt schon ihre Häuser und zogen mit Kind und Kegel in die Ställe, während sie bereits die Farben »ihrer Ritter« an den Hauswänden befestigten. So mancher Kämpe war Stammgast bei einem der Landshuter Bürger und freute sich, wenn alles für ihn vorbereitet war und er gleich mit den Farben und Symbolen seines Schildes und seiner Helmzier empfangen wurde. Aber auch die Schenken und Handwerksbetriebe zogen Banner und Fähnchen auf, sodass die Stadt schon Tage vor dem Einzug der Ritter in bunten Farben festlich geschmückt war.
»Gehen wir auch zur Burg?«, fragte die kleine Daphne ihren Vater begierig, als sie mit Lucia von einem Gang über den Markt zurückkehrte. »Bitte, Vater, ich will die Ritter sehen!«
»Aber das ist doch jedes Jahr das Gleiche, Daphnele ...«, seufzte Zacharias. »Ein paar reiche Dummköpfe schlagen sich im Namen ihrer Damen die Köpfe ein! Wobei es noch nicht mal um die eigene Ehefrau geht, sondern um das Weib von jemand anderem. Ich werde das nie verstehen, aber das muss ich ja auch nicht!«
Lucia lachte. Sie hatte von Al Shifa romantische Geschichten über die »Hohe Minne« gehört, und besonders Lea hatte Ritterromane verschlungen. Wie gern wäre sie einmal dabei gewesen, wenn wirklich zwei Kämpen die Klingen kreuzten, doch in Mainz hatte es keine vergleichbaren Veranstaltungen gegeben. Wie in vielen Städten am Rhein herrschten hier eher Klerus und Patriziat. Eine Burg und ihr Herr zum Schutz der Gemarkung wurden nicht gebraucht. Natürlich gab es im Umland Burgen und Ritter, aber Lucia wusste nicht, ob dort Turniere veranstaltet wurden. Auf jeden Fall waren die Herren nie auf die Idee gekommen, die Mainzer Bürgerschaft dazu einzuladen, und es gab ja auch keinen Anlass dafür. Hier in Landshut hingen Stadt und Burg jedoch eng zusammen, und die obendrein konkurrierenden Landesherren hatten größtes Interesse daran, sich das Wohlwollen der Bürger zu sichern. Ein Volksfest rund um die Ritterspiele schien hier das ideale Mittel zu sein.
»Ich hab so was noch nie gesehen«, bemerkte Lucia beiläufig zu ihrer neuen Familie. »Ist es Juden denn überhaupt gestattet, daran teilzunehmen?«
Zacharias lachte. »Teilnehmen dürften wir nicht, selbst wenn wir Lust dazu hätten, unser mühsam erworbenes Vermögen in Streitrosse und Ritterrüstungen zu investieren. Aber um zum Ritter geschlagen zu werden, muss man zumindest von niederem Adel sein und möglichst Christ - bei Mauren machen sie da allerdings Ausnahmen. Wenn sich da einer auf ein Turnier verirrt, darf er mitmachen.
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