Die Pestärztin
spannend sein würde wie der andere; schließlich aber fügte sie sich. Es erschien ihr zwar nicht sonderlich verlockend, den Tag mit Abraham Kahlbach zu verbringen, doch der Gedanke an einen Sitzplatz und vielleicht ein Getränk war überzeugend. Es war warm in diesen Apriltagen, ihre Knöchel waren gegen Ende der Schwangerschaft geschwollen, und langes Stehen fiel ihr schon seit Wochen schwer. So verbrachte sie den ersten Turniertag mit Hannah in der Nähstube und fertigte ein weiteres Kleidchen für ihr Kind. Daphne lehnte derweil am Fenster und beschrieb den Frauen den Staat der Ritter und Knappen, die das Judenviertel auf dem Weg zum Turnierplatz passierten. Hannah beeindruckten ihre Schilderungen allerdings nicht so sehr wie »Leas« Geschick als Schneiderin.
»Du führst die Nadel so flink, als hättest du es richtig gelernt!«, erklärte sie bewundernd.
Lucia lächelte. Zuletzt war die Schneiderlehre also wirklich noch zu etwas nutze.
4
F rüh am nächsten Tag lief Lucia mit der aufgeregten Daphne zum Stadttor. Abraham unterhielt sein Lager am anderen Ende des Viertels und hatte mit den Levins vereinbart, die Mädchen auf der Straße zur Isar zu treffen. Daphne spähte schon am Tor neugierig nach ihm aus und konnte kaum erwarten, all die bunten Zelte und Banner zu sehen, die am Isarstrand im Wind flatterten.
Doch die Stadtwächter machten keine Anstalten, das Judentor für sie zu öffnen. Dabei hatten sich schon viele Schaulustige sowie ein paar kleine Händler, die Brezeln und Wasserkrüge in ihren Bauchläden mit sich führten, vor dem Tor versammelt.
»Wenn ein großer Händler mit seinem Karren raus will, ja«, erklärte der Büttel mit Gemütsruhe. »Aber für ein paar Dirnen und Gaffer ziehen wir das Tor nicht hoch.«
Lucia kochte vor Zorn. Das Verhalten der Torwächter war nicht rechtens; der Eingang zum Judenviertel sollte bei Sonnenaufgang geöffnet werden wie alle anderen Tore auch. Anscheinend aber machte es dem Mann Spaß, die Hebräer ein bisschen zu ärgern. Lucia hatte so ein Verhalten in Landshut schon öfter registriert. Graf Stephan und seine Halbbrüder mochten insgesamt gute Herren sein, doch der Schutz »ihrer Juden« lag ihnen nicht sonderlich am Herzen.
»Vielleicht zieht Ihr es ja für uns hoch!« Eine weit tragende, noch freundliche Stimme, in der aber schon eine leichte Drohung mitschwang. Die wartenden Menschen machten dem Reiter jedenfalls sofort Platz, der da eben hinter ihnen auftauchte.
Wie die anderen sah auch Lucia zu ihm hoch und gewahrte einen großen, noch ziemlich jungen Ritter auf einem fuchsfarbenen Ross. Der Mann trug die Farben blau und rot, getrennt durch einen silbernen Balken. Im roten Feld war eine goldene Kette abgebildet, im blauen eine »Manche«, der stilisierte Ärmel eines Festgewandes. Seine Rüstung glänzte frisch poliert, über dem Harnisch trug er einen prächtigen Wappenrock in seinen Farben. Seinen Helm hatte er vorerst am Sattel befestigt. So konnte Lucia sein Gesicht erkennen. Es gab ihr einen Stich ins Herz, weil es sie auf den ersten Blick ein wenig an Clemens erinnerte. Allerdings erblickte sie hier nicht das durchgeistigte Gesicht des Gelehrten, sondern die einerseits volleren, andererseits härteren Züge des Kämpfers. Um den Mund herum mochten sie weicher sein, als man es bei Rittern erwartet - dieser Mann lachte zweifellos gern und hatte auch jetzt ein mutwilliges Funkeln in den Augen. Faszinierenden Augen! Lucia hatte noch nie ein so lichtes Braun gesehen. Die Iris glänzte fast topasfarben und hob sich damit hell vom gebräunten Gesicht des Ritters ab. Auch sein Haar war goldbraun. Er trug es lang, wie sein Stand es vorsah, und es wogte lockig um sein Gesicht.
»Mein Name ist Adrian von Rennes ...« Er sprach den Namen französisch aus, und Lucia erkannte jetzt auch, dass es der südliche Akzent war, der seine Stimme trotz aller Schärfe singend klingen ließ. »Und ich bestreite gleich meinen ersten Kampf auf diesem Turnier. Wenn ich mir nun ein anderes Tor suchen muss, werde ich zu spät kommen. Und das könnten die Herzöge übel vermerken!«
Der Ritter musste jetzt schon spät dran sein, sonst hätte er kaum den Weg durchs Judenviertel genommen, sondern wäre durch eine der fähnchengeschmückten Hauptstraßen geritten und hätte sich dabei bejubeln lassen. Aber Lucia erinnerte sich, dass ein paar der Juden, die auch knapp außerhalb ihres Viertels Grundbesitz besaßen, diese Häuser zum Turnier an Ritter vermieteten.
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