Die Pestärztin
gnädig. Man wird über dich reden, bereite dich darauf vor!«
Lucia hätte beinahe erwidert, dies mehr als gewohnt zu sein. Das Getuschel der Frauen in der Synagoge störte sie nicht. Hannahs tröstlich gemeinte Bemerkung versetzte ihr allerdings einen Stich. Bislang hatte sie ihr Vorgehen als harmlos empfunden; in ihren Augen tat sie nichts Unrechtes, wenn sie sich als Lea ausgab. Nun aber war sie im Begriff, der jüdischen Gemeinde ein Kind unterzuschieben. Ein Kind, das weder von einem Juden gezeugt noch von einer Jüdin geboren wurde. Und was tat sie dem Kind damit an? Lucia war längst weit entfernt von der Zeit, in der sie sich aus ganzem Herzen gewünscht hatte, Jüdin zu sein. Sie wusste nun, welchen Gefahren die Hebräer ausgesetzt waren. Wollte sie das für ihr Kind riskieren? Welche Sünde beging sie, wenn sie einen Sohn beschneiden ließe?
Hannah dagegen sorgte sich um ihren Ruf. Und da sie eine tatkräftige Frau war, ließ sie nichts unversucht, vielleicht doch eine Lösung zu finden, die Leas Kind eine gesicherte Stellung unter den Juden von Landshut verschaffte.
Sie druckste ein wenig herum, als sie ihre vermeintliche Nichte schließlich zu einer Unterredung in ihr Nähstübchen bat.
»Lea, ich will dir nicht zu nahe treten mit dem, was ich jetzt sage und vorschlage. Ich weiß, du hast deinen Gatten geliebt ...«
»Aus ganzem Herzen und mit ganzer Seele!«, sagte Lucia, auch wenn sie dabei nicht an Juda ben Eliasar dachte.
»Aber jetzt musst du auch an das Kind denken, das du unter dem Herzen trägst. Juda würde wollen, dass es gut versorgt ist.«
Hannah spielte an dem altmodischen Gebende herum, das sie der moderneren Haube aus unerfindlichen Gründen vorzuziehen pflegte. Sie brauchte jeden Morgen eine ganze Weile, um den Schal auf komplizierte Weise um Kopf und Kinn zu winden, verdeckte ihr Haar damit aber viel vollständiger als die jüngeren Frauen mit ihren Hauben.
Lucia nickte, wagte dann aber eine Bemerkung. »Ich bin nicht mittellos, dank der Bemühungen von Onkel Zacharias. Und auch meine eigene Investition war erfolgreich.«
Das stimmte. Die Handelsreise in die Niederlande war trotz des winterlichen Wetters ohne nennenswerte Schwierigkeiten verlaufen und hatte Lucias Vermögen gemehrt. Die Expedition in den Orient dagegen war noch gar nicht aufgebrochen. Lucia hatte nicht ganz verstanden, ob die Stürme im Mittelmeer oder erneute kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Spaniern und Mauren Kahlbach zurückhielten. Auf jeden Fall war der Kaufmann nach wie vor in Mainz und besuchte die Levins an fast jedem Sabbatabend. Dann wechselte er stets ein paar höfliche Worte mit »Lea«, obwohl sie das Gespräch nicht suchte. Und häufig fühlte sie auch später seinen Blick ein wenig länger auf sich ruhen, als schicklich war.
Hannah Levin nickte. »Das weiß ich, Lea. Aber es wäre doch schön, wenn das Kind einen ehrenwerten Namen aufzuweisen hätte, nicht wahr? Sag mir, Liebes, was hältst du von Abraham von Kahlbach?«
Lucia sah verblüfft auf. Das kam nun doch sehr überraschend.
Hannah ließ den Blick sinken. »Du wirst doch auch gemerkt haben, dass er dir Interesse entgegenbringt. Ist dir das ... hm, unangenehm?« Die ältere Frau wand sich sichtlich.
Lucia überlegte kurz. »Es ist mir nicht unangenehm«, sagte sie dann aufrichtig. Kahlbach wusste flüssig zu erzählen und unterhielt sie manchmal mit Anekdoten und Geschichten von seinen Reisen. In letzter Zeit stellte sie ihm gelegentlich Fragen dazu, die er kundig und ohne Prahlerei beantwortete. Wenn es hier allerdings um eine Brautwerbung ging ...
»Aber wie du weißt, Tante«, schränkte Lucia ein, »bin ich in Trauer. Reb Kahlbach mag Interesse für mich hegen, aber ich empfinde mich nach wie vor als Gattin des Juda ben Eliasar.«
Hannah seufzte. »Ich weiß, Liebes, und das ehrt dich. Und Abraham weiß es natürlich auch. Unter normalen Umständen hätte er nie ... zurzeit allerdings ... nun, lass es mich kurz machen, Lea, er hat mich auf deine Schwangerschaft angesprochen.«
Lucia spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie hätte vor Scham vergehen können! Ein wildfremder Mann und eine ihr im Grunde nicht minder fremde »Tante« besprachen die Umstände ihrer Vergewaltigung!
»Ich weiß, wie weh es tut, Liebes! Aber denk doch einmal praktisch! Reb Abraham jedenfalls hat es ganz nüchtern gesehen. Er hegt Gefühle für dich, Lea, und würde dich gern beschützen. Dich und dein Kind. Zumindest wenn ... äh,
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