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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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falls ...«
    Lucia runzelte die Stirn. »Vielleicht sprichst du es einmal klar aus, Tante«, meinte sie verstimmt. »Reb Kahlbach möchte mich offenbar heiraten. Trotz meiner Schande. Aber er knüpft Bedingungen daran. Sollte das mit einer Orientreise zu tun haben, für die ihm das Geld fehlt?«
    Hannah verdrehte die Augen. »Aber nicht doch, Lea-Kind, was denkst du! Abraham von Kahlbach ist schwerreich! Er könnte seine Expeditionen auch allein finanzieren, aber er zieht es vor, seine Investitionen zu streuen. Wie Zacharias es ja auch tut, und wie dein geliebter Vater es getan hat. Nein, nein, Lea, Reb Abrahams Bedenken beziehen sich nicht auf dein bisschen Geld. Ihm geht es eher um ... nun, auch um seinen Namen. Wenn das Kind ein Sohn würde ...«
    Lucia verstand allmählich, und Wut stieg in ihr auf. Mit blitzenden Augen wandte sie sich an Hannah.
    »Verstehe. Der Herr würde mich zur Frau nehmen, auch noch im Trauerjahr gegen alle Regeln der Schicklichkeit, und mir und meinem Kind einen Namen geben. Allerdings nur, wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe. Ein Kuckucksei als seinen Sohn großzuziehen ... so weit geht die Liebe dann doch nicht!«
    »Es wäre immerhin sein Erbe«, druckste Hannah.
    »Und wie stellt er sich das vor?«, schleuderte Lucia ihr entgegen. »Will er mich zuerst heiraten und dann verstoßen, wenn das Kind ein Junge ist? Oder wartet er ab, lässt mich das Kind erst unehelich zur Welt bringen und hat dann die Gnade, mich in den Stand der Ehe zu erheben, falls ich eine Tochter bekomme?«
    »Dann würde er das Kind anerkennen.«
    Lucia erschrak, als sie eine Männerstimme hörte. Zacharias Levin stand in der Tür. Er musste zumindest einen Teil des Gesprächs mitgehört haben und schien nun bereit, deutliche Worte zu sprechen.
    Lucia war ihm fast dankbar dafür.
    »Im anderen Fall würde er dich ebenfalls ehelichen und das Kind in seinem Haushalt aufwachsen lassen. Es würde aber schon im Ehevertrag festgelegt, dass dein Sohn keine Erbrechte am Vermögen der Kahlbachs geltend machen könnte.« Zacharias setzte sich zu den Frauen. »Ich weiß, das klingt hart. Aber es ist ein durchaus akzeptables Angebot, Lea. Du solltest es dir durch den Kopf gehen lassen. Zumal es ja auch noch Vermögenswerte der Speyers und Judas Familie geben müsste, die deinem Sohn als Erbe zustehen. Du könntest versuchen, sie einzuklagen, und mit Kahlbachs Namen, seinem Vermögen und seinen Verbindungen wäre das weitaus leichter, als wenn du es allein versuchst.«
    Lucia hielt dies für hoffnungslos und obendrein für viel zu riskant. Erstens hatte die Stadt Mainz bislang noch nach jedem Pogrom das Vermögen der Ermordeten konfisziert. Es gab keinen Grund, warum es diesmal anders sein sollte. Zudem konnte Lucia ihre Heimatstadt nie wieder betreten! Überlebende Juden würden erkennen, dass sie nicht Lea war. Und überlebende Christen konnten sie als die Pestärztin identifizieren und als Hexe vor Gericht stellen. Das alles kam nicht in Frage!
    Lucia stand auf. »Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, Onkel ... und Tante«, sagte sie. »Und auch Herrn von Kahlbachs Angebot ehrt mich. Ich bin allerdings nicht interessiert. Es wird meine Tochter sein, die ich zur Welt bringe, oder mein Sohn! Wir brauchen keine Almosen. Und wenn die Leute darüber reden wollen, sollen sie es tun! Ich habe mir nichts vorzuwerfen!«
    Zumindest jetzt noch nicht. Wenn sie dagegen als Christin einen Juden heiratete, was auch unter den Hebräern als Sakrileg galt ... wenn sie Kahlbach ein Christenkind an Kindes statt unterschob ... Alles in Lucia wehrte sich dagegen, die Menschen ihrer neuen Familie und ihrer Gemeinde derart zu betrügen. Und sie fürchtete sich zu Tode vor den Konsequenzen. In verzweifelten Nächten sah sie ihr Kind in den Häusern des Ghettos verbrennen. Sie sah Männer, die es aus dem Fenster warfen, und Frauen, die auf den wehrlosen kleinen Körper eintraten. Sie mochte nicht zu den Tätern gehören, aber um Himmels willen auch nicht zu den Opfern.
 
    Schließlich neigte der in Landshut schneereiche und harte Winter sich seinem Ende zu. Lucias Kind sollte im Mai zur Welt kommen, und inzwischen war ihre Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen. Das Gerede hielt sich trotzdem in Grenzen; die Gemeinde begegnete ihr zumindest vordergründig mit Freundlichkeit und Verständnis. Doch immer wieder fiel dabei der scheinbar tröstliche Satz, dass Judentum nur über die weibliche Linie vererbt würde. Und immer wieder gab es Lucia

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