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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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das mindestens eine Stunde«, stöhnte Ari. »Wir werden kaum genug Zeit haben, die Frau zu befreien. Geschweige denn das Grab wieder herzurichten, als wäre es unberührt.«
    Lucias Gedanken rasten. Der Knecht Edmund schien zu allem entschlossen. Aber ein wenig Angst vor der Kirchenentweihung hatte er sicher doch. Und Mathilde ... die kleine Schwester war freundlich, aber dumm. Beide würden abergläubisch sein.
    »Geh über den Friedhof, Clemens!«, sagte sie entschlossen. »Ganz aufrecht und unerschrocken, genau so, wie du eben vor mir aufgetaucht bist. Schau starr nach vorn, als würdest du die beiden nicht bemerken ...«
    »Bist du verrückt? Sie werden mich sehen.«
    »Sollen sie ja auch! Sie sollen den Tod sehen! Den Sensenmann, der seinen Acker abschreitet und zur Kirche geht. Da ist schließlich gerade eine neue Seele abzuholen.«
    »Das ist Irrsinn, Lucia! Selbst wenn sie darauf reinfallen. Die Kleine wird sich zu Tode erschrecken und laut schreien. Und dann holt sie die Oberin!«
    »Und beichtet ihr, dass sie sich hier mit einem der Knechte getroffen hat? Um sich eine Ausrede einfallen zu lassen, ist sie viel zu beschränkt.« Lucia schob ihren Mann vorwärts.
    »Und der Junge? Wenn er mich angreift?« Clemens konnte sich nicht überwinden.
    »Den Sensenmann? Mach dich nicht lächerlich!«
    »Wenn der Junge Euch angreift, schlagen wir ihn zusammen«, sagte Adrian ruhig. »Es würde mir leid tun und wäre nicht sehr ritterlich, aber jetzt sind wir hier, Elisabeth braucht Hilfe. Wenn es getan werden muss, wird es getan.«
    »Und das Mädchen?«, fragte Ari.
    Adrian schlug die Augen nieder, fasste seine Schaufel aber fester. Er schien zu allem entschlossen.
    »Macht Eure Sache gut, Clemens! Alles andere liegt in Gottes Hand!«
    Lucia hätte schreien können. Sie hätte ihr Leben darum gegeben, diesen Spruch nie wieder hören zu müssen.
    Doch Clemens schien sich nun in die Sache zu fügen.
    Er richtete sich auf und schien dabei wie aus dem Nichts auf dem Friedhof zu erscheinen. Sein langer, dunkler Mantel wogte um seine hagere Gestalt; sein Gesicht leuchtete weiß wie ein Totenschädel unter der Kapuze, und sein Hinken ließ ihn noch bedrohlicher wirken. Natürlich trug er einen Spaten anstelle einer Sense, aber das würde auf den ersten Blick niemand bemerken.
    »Langsam ...«, murmelte Lucia.
    Clemens durfte nicht rennen, der Tod hatte Zeit.
    Lucia und die anderen Männer beobachteten gebannt, wie Clemens über den Gottesacker schritt, ohne nach rechts oder nach links zu schauen.
    Das Paar auf dem Friedhof musste ihn jetzt auch sehen. Und erstarrte vor Schreck! Mathilde schrie nicht, wie Lucia befürchtet hatte. Sie trennte sich nur von Edmund. Beide ließen die Arme sinken, mit denen sie sich eben noch umfasst hatten.
    »Barmherziger Himmel!« Mathilde sank auf die Knie. Edmund dagegen ergriff die Flucht. Ohne sich weiter um seine Liebste zu kümmern, rannte der Junge los, wie von Furien gejagt - zum Glück nicht auf die Mauerpforte zu, sondern in Richtung der Ställe.
    »Der eine wäre weg«, kommentierte Ari.
    »Aber das Mädchen macht keine Anstalten«, flüsterte der andere Jude. »Was tut sie da bloß?«
    Mathilde hockte hinter dem Grabstein und schien etwas vor sich hin zu murmeln.
    »Beten natürlich!«, meinte Lucia. »Und sie traut sich nicht weg. Wenn sie aufsteht, könnte der Sensenmann sie doch sehen.«
    Clemens war inzwischen längst in der Kirche verschwunden, aber Mathilde sah gar nicht mehr auf.
    »Darum kümmere ich mich jetzt mal«, erklärte Lucia und machte sich, eng an die Mauer gedrückt, auf den Weg Richtung Gästehaus. »Wartet nicht auf mich. Geht einfach ins Garwehaus, wenn die Luft rein ist. Und von da aus in die Kirche. Das Türchen ganz rechts führt direkt in unsere Kapelle.«
 
    Diesmal schrie Mathilde wie eine Irrsinnige, als sie eine weitere Gestalt aus dem Dunkel auftauchen sah. Die Wolken hatten sich inzwischen verzogen und einen fast vollen Mond enthüllt. Er strahlte Lucia von hinten an, als sie sich von der Mauer löste; ihr Schatten fiel auf das zitternde, fieberhaft Gebete murmelnde Mädchen. Die junge Nonne hörte erst auf zu schreien, als Lucia zu ihr eilte und sie schüttelte.
    »Schwester Mathilde! Was habt Ihr denn? Ihr seht ja aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen! Dabei bin es doch nur ich, Lucia von Treist! Erinnert Euch, Ihr habt mir einmal beim Teekochen geholfen ...«
    Mathilde beruhigte sich langsam, bebte aber immer noch am ganzen Körper. »Ich ...

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