Die Pestärztin
ich ... der Tod ...«
»Ihr seid auf dem Friedhof, Schwester, da ist der Tod allgegenwärtig«, meinte Lucia gelassen. »Was ängstigt Euch denn nur daran? Und wo ist Eure Haube?«
Edmund hatte Mathildes Schleier vorhin abgenommen und dabei wunderschönes, mattblondes Haar freigelegt. Die kleine Nonne war ein hübsches Mädchen. Kein Wunder, dass der Knecht ihr verfallen war.
»Ich ... ich bin verflucht. Oh, Heilige Mutter Gottes, bete für uns Sünder ...« Mathilde war völlig durcheinander.
Lucia suchte ihre Haube und half ihr, sie wieder zu befestigen. »Aber nicht doch, Schwester, warum sollt Ihr verflucht sein? Wollt Ihr mit mir in die Kirche kommen, um noch ein paar Gebete für die Herzogin Elisabeth zu sprechen?«
»In die ...? Da hinein? Nein ... nein, um der Gnade Gottes willen ... der Tod ...« Mathilde hätte sich eher vierteilen lassen, als in dieser Nacht die Klosterkirche zu betreten.
Lucia legte ihr den Arm um die Schulter. »Schwester, ich weiß nicht, was Euch geschehen ist, aber Ihr seid verwirrt. Kommt jetzt mit mir, wir gehen zur Mutter Oberin, und Ihr erzählt ...«
»Nein, nur das nicht! Sie darf nicht wissen ... Bitte, Herrin, verratet nichts ...« Mathilde schien allmählich in die Wirklichkeit zurückzufinden und sich dabei vor der Oberin kaum weniger zu fürchten als vor dem Sensenmann.
Lucia nickte beruhigend. »Gut, dann begleitet Ihr mich ins Gästehaus. Wenn die Küche noch offen ist, bereite ich uns einen Tee, oder ich hole Wein aus meiner Stube. Ihr müsst Euch beruhigen, Schwester.«
Lucia atmete auf, als Mathilde ihr artig folgte. Der Weg in die Kirche war frei. Wenn es für Elisabeth nur nicht zu spät war ...
Es dauerte seine Zeit, bis Lucia die kleine Nonne mit heißem Würzwein versorgt und schließlich zum Dormitorium der Schwestern geführt hatte. Ohne ihre Begleitung war das völlig aufgelöste Mädchen nicht bereit, auch nur einen Schritt zu tun. Lucia musste all ihre Überzeugungskraft aufbringen, um sie nur dazu zu bringen, allein ihren Schlafsaal aufzusuchen.
Lucia hoffte, dass sie ihr Erlebnis nach dem Wein und etwas Schlaf am Morgen als Albtraum ansehen würde. Aber selbst wenn sie anderen Nonnen etwas erzählte, sollte dann keine Gefahr mehr bestehen.
Lucia rannte zurück in Richtung Kirche und betrat sie durch den Haupteingang. Die Männer, die in der Marienkapelle arbeiteten, duckten sich blitzschnell hinter Altar und Pfeiler. Ein besonderes Licht hatten sie nicht anzünden müssen; die Kerzen vor der Marienstatue und Elisabeths Grabkerzen erhellten die Nische ausreichend.
»Damit wären wir quitt in Sachen Erschrecken«, bemerkte Lucia. »Wie weit seid Ihr?«
Die Männer hatten ihr Werkzeug ausgebreitet, und Clemens war eben dabei, einen Hebel anzubringen, der die Grabplatte lüften sollte. Ari achtete darauf, dass die Platte dabei nicht zerkratzt wurde.
Adrian betätigte schließlich den Hebel, während die anderen die Steinplatte aufnahmen. Sie war schwer, aber zu dritt konnten sie den Stein halten. Lucia half ebenfalls, und Adrian fasste mit an, als er sah, dass der Hebel nicht mehr vonnöten war.
»Überanstrengt Euch nicht!«, mahnte Clemens, aber der junge Ritter hatte jetzt alles vergessen.
»Elisabeth!« Er rief ihren Namen, doch aus dem Steinsarg am Fuße der Grube kam keine Antwort.
»Den Sarg auch anheben?«, fragte Ari zweifelnd.
»Nein, nur öffnen. Er muss unglaublich schwer sein. Haben sie den extra anfertigen lassen?«, fragte der andere Jude, Jona ben Levi. Er ließ sich rasch in die Grube hinab und machte sich an den Verschlüssen zu schaffen. Dabei war er sehr geschickt. Lucia erinnerte sich daran, ihn im Mietstall gesehen zu haben, wie er Pferde beschlug.
»Nein, das ist ein antiker Sarkophag«, antwortete Lucia ungeduldig. »Frau Margarethe hat ihn für sich aus Italien kommen lassen. Aber nun brauchte sie ihn ja noch nicht so schnell. Geht das nicht rascher, Reb Jona?«
»Warum antwortet sie nicht?«, flüsterte Adrian. »O mein Gott, wenn sie tot ist ...«
»Wenn sie Glück hat, schläft sie noch«, beruhigte ihn Clemens, allerdings ohne viel Hoffnung.
Reb Jona griff derweil nach dem Hebel. »Er ist nicht besonders versiegelt, wir können den Deckel einfach abheben. Aber es ist sehr schwer! Kommt runter und passt auf, dass er nicht in zwei Teile zerbricht, wenn er mir abrutscht.«
Die Männer kletterten in die Grube. Lucia blieb oben. Sie schaffte es nicht, den ersten Blick in den Sarg zu tun. Sie wollte nicht
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