Die Pestärztin
erklärte sie streng.
»Na komm, so verschlagen scheint sie mir nun doch nicht zu sein«, schwächte Benjamin ab. Zwar war Lucias weitere Anwesenheit im Haus auch ihm nicht allzu recht, aber die Hure Babylons konnte er nun auch nicht in ihr sehen. Gut, David mochte ein bisschen für sie schwärmen, und es war sicher besser, das Mädchen so bald wie möglich zu entfernen. Außerdem fürchtete Benjamin Schwierigkeiten mit der christlichen Kirche, wenn Lucia blieb. Über der jüdischen Gemeinde von Mainz brauten sich wieder mal dunkle Wolken zusammen. Vor ein paar Tagen war ein christliches Kind verschwunden und ermordet und schrecklich verstümmelt aufgefunden worden. Natürlich hatte der Vater nichts Besseres zu tun gehabt, als die Juden eines Ritualmordes zu beschuldigen. Der »Judenbischof«, ihr Gemeindevorsteher, war deshalb schon beim Erzbischof vorstellig geworden. Falls es zu Ausbrüchen des Volkszorns kam, würde man Schutz brauchen. Und nicht auszudenken, was geschah, wenn eine Horde christlichen Mobs ein junges, schönes Christenmädchen in einem Judenhaus anträfe!
»Es mag sein, dass sie ganz unschuldig ist«, räumte Sarah ein. »Aber um David um den Verstand zu bringen, genügt ihre bloße Anwesenheit. Ich will, dass sie fortgeschickt wird, Benjamin. Das meine ich ernst!«
Von Speyer überlegte. Das Einfachste wäre, wenn die Küferin Lucia in Stellung gäbe. Aber was kam da infrage? Für ein Haus- oder Küchenmädchen war Lucia mit ihren bald sechzehn Jahren bereits zu alt. Viel Geschick dafür schien sie auch nicht zu haben. Dann fiel ihm ein, dass ein christlicher Schneider, den er flüchtig kannte, gestern über den Verlust seines Lehrlings geschimpft hatte. Der Knabe hatte sich am Dreikönigstag betrunken und war im Rhein ersoffen. Nun wurde Ersatz gebraucht, und möglichst kein blutiger Anfänger. Meister Friedrich bewarb sich um eine Konzession als Gewandschnitter, um fürderhin auch mit Tuchen handeln zu dürfen. Da hatte er keine Zeit, einen kleinen Jungen einzuarbeiten. Wenn Benjamin ihm nun Lucia als Lehrtochter vorschlug, mochte er anbeißen. Es war nicht unbedingt üblich, dass Frauen den Beruf des Schneiders erlernten, aber auch nicht verboten.
Benjamin begeisterte sich immer mehr für die Idee. Meister Friedrich war verheiratet - mit einem Drachen von einer Frau! Lucias Tugend wäre in seinem Haus also nicht gefährdet. Und es gab einiges, das Benjamin dem Meister anbieten konnte, um ihm das Lehrmädchen schmackhaft zu machen.
Speyer beschloss, gleich morgen mit dem Schneider zu reden.
Meister Friedrich Schrader befand Lucia eigentlich als für zu alt, um noch eine Lehre anzufangen, ließ sich dann aber umstimmen. Erstens, weil das Mädchen in einem gutbürgerlichen Haushalt erzogen und dabei von klein an zu Handarbeiten angehalten worden war. Vor allem aber überzeugten ihn die großzügigen Rabatte, die Benjamin von Speyer ihm auf seine ersten Stoffeinkäufe als Gewandschnitter einräumte. Die Schraderin argwöhnte zwar zunächst, der Jude wolle ihnen sicher nur seine Hure aufdrücken. Meister Friedrich hätte sich allerdings auch die Rückführung eines gefallenen Mädchens in den Schoß der Kirche zugetraut - wenn er nur preiswerten Zugang zu den Batist- und Seidenstoffen, dem Brokat aus Al Andalus und dem Flämischen Tuch bekam, das der Jude von Speyer immer wieder importierte.
Zu Benjamins Erleichterung wehrten sich auch Lucia und Al Shifa nicht gegen die Verbannung des Mädchens aus der Obhut des jüdischen Bürgerhauses. Lucia war beinahe froh, der neuerdings eher gespannten Atmosphäre zwischen ihr und Sarah entfliehen zu können. Außerdem atmete sie auf, als sie endlich das Haus der Küferin verlassen konnte. Ihre »Ziehbrüder« wurden fast täglich frecher. Mitunter drängten sie gar nachts in ihr Bett, um dem schlaftrunkenen Mädchen ein paar Griffe an den Busen oder zwischen die Beine abzuringen. Obendrein hatte Grietgen vor Kurzem geheiratet, Lucia musste den »Heimweg« also täglich allein antreten. Wäre nicht David gewesen, der unauffällig über sie wachte, hätte sie sich zu Tode geängstigt. Dennoch fühlte das Mädchen sich natürlich beobachtet und verfolgt. Erst als sie sich einmal todesmutig hinter einer Hauseinfahrt versteckte und ihrem Verfolger auflauerte, erkannte sie David. In ihrer Erleichterung hatte sie ihn zunächst zusammengestaucht; dann aber fand sie seinen Geleitschutz rührend - und inzwischen fast lebensrettend. Außerdem war David nicht
Weitere Kostenlose Bücher