Die Pestärztin
Scherze nachriefen. Doch sie meinten es nicht böse, und so lächelte sie im Stillen und war beinahe stolz darauf, welche Wirkung sie trotz der schlichten Kleidung auf die jungen Männer ausübte. An der Rheinstraße gab es mannigfaltige Lagerhäuser und Kontore. Hier waren viele Juden ansässig, und so mancher grüßte ehrerbietig zu Sarah und Lea in die Sänfte. Lucia traf selten ein Gruß - aber auch hier waren es vor allem junge Burschen, die ihr winkten und sie beim Namen nannten.
Sarah sah es mit Missfallen. Eigentlich konnte sie ihrer Pflegetochter nichts vorwerfen: Lucia verhielt sich vorbildlich, war bescheiden und brav, machte sich im Haushalt nützlich und hielt Lea bei der Stange, wenn sie wieder einmal singen, tanzen oder ausreiten wollte, statt zu lernen und sich auf ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Dennoch verspürte Sarah immer häufiger Unwillen, wenn sie Lucia mit jenem sinnlichen Gang durchs Haus schweben sah, der auch Al Shifa zu eigen war. Lucias strahlende Augen und ihr makelloses Gesicht, das sie entzückt hatte, als das Mädchen noch ein niedliches Kind gewesen war, erfüllten sie jetzt mit Unmut und Sorge. Die Kleine trug den Kopf zu hoch. Sie sprach zu selbstverständlich von Dingen, die sie nichts angingen; einmal hatte sie die Mädchen sogar dabei belauscht, wie sie von ihren späteren Ehegatten und Kindern redeten und dabei lachten und kicherten. Sarah beabsichtigte, Lea jetzt bald zu verheiraten, schon um die Mädchen zu trennen. Was aber sollte sie mit Lucia anstellen? Es war kurzsichtig gewesen, dem christlichen Waisenkind ein Heim in ihrer Familie zu geben! Nun blieb ihr nur noch, das Mädchen vielleicht einem Hausknecht anzuverloben und dazu mit einer kleinen Mitgift auszustatten. Aber es musste ein Mann sein, der ihrer Familie verbunden war - wer sonst stellte keine Fragen, wenn Juden die Mitgift stellten? Am besten wäre es gewesen, der Küferin die Verhandlungen zu überlassen. Aber die würde sich das Geld wahrscheinlich selbst einstecken und Lucia an den nächsten Hurenwirt verschachern. Sarah ließ die christlichen Bediensteten ihrer Familie vor sich Revue passieren. Viele waren es nicht. Im Haus gab es nur den alten Hans; außerdem beschäftigte Benjamin ein paar Lagerarbeiter. Vielleicht mochte einer von denen Lucia. Aber was würde das Mädchen selbst dazu sagen? Sarah schalt sich für ihre mangelnde Weitsicht. Wie hatte sie dem Kind erlauben können, Latein und Arabisch zu studieren? Bestimmt war das Mädchen sich jetzt zu gut für einen christlichen Knecht!
Lucia ahnte nichts von diesen trüben Gedanken. Sie freute sich nur, David zu sehen, der aus dem Kontor seines Vaters eilte, als er die Sänfte kommen sah. Doch Lucia war ein wenig verwundert über Davids Erscheinen, denn gewöhnlich arbeitete er nicht für seinen Vater; er hatte seine praktische Ausbildung als Kaufmann im Betrieb eines Freundes der Familie aufgenommen, Eliasar ben Mose.
»Da seid ihr ja! Mutter ... Lea ... Lucia ...! Vater wurde abgerufen, aber ich war gerade hier, und so bat er mich, euch die neuen Waren zu zeigen.«
Lucia verstand nicht, warum ihr Herz neuerdings in der Brust zu tanzen schien, wenn sie Davids braune Augen auf sich ruhen fühlte. Der Junge wagte es nicht, ihr offen den Hof zu machen, doch sie sah sein Gesicht aufleuchten, sobald er sie sah. Lucia musste Acht geben, dass nicht auch sie selbst sich verriet. Zum Glück schien Sarah Speyer heute anderen Gedanken nachzuhängen. Sie blieb bald zurück und sprach mit einem der Kontoristen, während David die Mädchen in einen Raum führte, der über und über mit Stoffen aus aller Herren Länder gefüllt war.
»Hier, edles Leinen aus Köln! Vater hat einen Posten davon zurücklegen lassen, Lea, für deine Aussteuer. Und hier - Brüsseler azurblaues Tuch. Schaut euch nur die leuchtenden Farben an! Das hier, Lea, wäre fast ein Hochzeitskleid. Und dies ...«
»Das ist ein schöner Stoff«, meinte Lucia gelassen und zeigte auf einen Ballen Flandrisches Tuch, dessen graue Farbe leicht ins Blau spielte.
David schüttelte unwillig den Kopf.
»Was willst du nur immer ausschauen wie ein Mäuslein, Lucia! Dies hier, dies ist deine Farbe!« Der Junge griff zielstrebig - beinahe so, als hätte er sich vorher darauf festgelegt - nach einem Ballen Seide aus den Manufakturen Al-Mariyas. Sie war von leuchtendem Blau, wie die Lichter, die mitunter in Lucias dunklen Augen aufblitzten. Eifrig drapierte er die Seide um Lucias Haar.
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