Die Pestglocke
damit zu tun, dass er ein illegaler Einwanderer ist und seine Identität geheim zu halten versucht. Er leugnet, mit Terry Johnston auf freundschaftlichem Fuß gestanden zu haben, wohingegen mir Gayle erzählt hat, dass er einer von Terrys wenigen Kumpeln war. Er behauptet, sich am Samstagabend betrunken zu haben, aber er sagt ebenfalls, er sei praktizierender Moslem. Und an demselben Nachmittag, an dem er angeblich in Navan getrunken hat, habe ich ihn draußen in Oldbridge mit Darren Byrne sprechen sehen.«
»Byrne schon wieder, hm?«
Ja, Byrne schon wieder. Byrne. Adelola. Johnston. Mortimer.
Ich hatte bereits die Möglichkeit erwogen, dass sie alle zusammen auf der Jagd nach dem Schatz waren, den Mortimers Vorfahre versteckt hatte. Nun gab es eine Verbindung von Ben Adelola und möglicherweise Terry Johnston mit der toten Frau. Konnte Latifah seine »Hottentotten-Venus« gewesen sein? Wie sah es mit den übrigen beiden aus? Einen flüchtigen Moment lang ging mir der Gedanke durch den Kopf, sie könnten alle in den Mord verwickelt sein. Aber wenn es ein Zeichen für eine fieberhafte Fantasie war, sich gleich zwei Verschwörungstheorien auszudenken, ließ es auf eine Fantasie im Lähmungszustand schließen, sie beide mit denselben Verschwörern zu besetzen.
Meine Mutter und Tante Betty waren im Speisesaal und tranken Tee mit Deirdre Lysaght, als wir eintrafen. Tränen stiegen mir in die Augen, als ich meine Mutter umarmte. Ihre Augen waren bereits rot gerändert vom Weinen. »Na, na, Kleines«, sagte sie, als sie mich in ihren Armen zittern spürte. Sie bemühte sich, die Starke von uns beiden zu sein.
Finian schüttelte ihr teilnahmsvoll die Hand, während Betty und ich uns umarmten.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich.
»Er ist sehr friedlich«, antwortete Betty.
Meine Mutter weinte lautlos.
»Gehen Sie zu ihm«, sagte Deirdre. »Ich erwarte Sie mit einer Tasse Tee, wenn Sie zurückkommen.«
Finian kam mit mir, blieb aber gerade so lange, um meinem Vater zu sagen, dass Arthur ihn grüßen ließ. Finian sprach immer mit ihm, als wäre er in der Lage, ihn zu verstehen, was so gut war wie jede andere Kommunikation, und sicherlich besser, als nur stumm dazusitzen.
Dann ließ mich Finian mit ihm allein, wie ich es wollte.
Der Raum war nur von einem Nachtlicht beleuchtet. Ich setzte mich neben das Bett und beobachtete meinen Vater. Er schlief ruhig, mit einem durchsichtigen, strohhalmdünnen Sauerstoffschlauch in seiner Nase. Sein Haar war dünn und stumpf, das wächserne Gesicht auf die Umrisse seines Schädels geschrumpft, was ihn viel älter als seine siebenundsechzig Jahre aussehen ließ. Er war in den letzten Monaten schon verschiedentlich krank gewesen, aber das hier war anders.
Diesmal kommt er nicht zurück, Illaun.
In gewisser Weise war mein Vater schon lange von uns gegangen. In seinem Innern herrschte Leere. In archäologischen Begriffen war sein Geist wie eine Landschaft ohne bestimmte Merkmale, überirdisch wie unterirdisch ohne jedes Anzeichen für menschliche Präsenz; leerer als eine Wüste, öder als ein Eisfeld. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob man abgesehen von der vertrauten, noch immer lebenden Hülle seines Körpers überhaupt davon sprechen konnte, dass er existierte. Konnte es ohne Persönlichkeit noch eine Seele geben?
Und war das die Sache, die weder Krankheit noch Verletzung, sondern nur der Tod zerstören konnte? Und löste sie sich auf, wenn man starb, oder wurde sie in eine andere Welt katapultiert? In diesem Augenblick glaubte ich, dass beides zutraf.
Ich senkte für einen Moment den Kopf und betete darum, dass die »Erlösung«, wie Pfarrer Burke es genannt hatte, bald kommen würde.
Richard rief kurz nach 2.00 Uhr morgens an und sagte, er würde bereits Vorbereitungen für einen Heimflug treffen, aber erst am Samstag eintreffen: Ein frühreifes Baby war gerade in seine Klinik gebracht worden, und er wollte sich diesem Fall unbedingt noch widmen. Richard war Kinderarzt und darauf spezialisiert, erheblich zu früh geborene Säuglinge am Leben zu halten. Wie ich hatte er von unserem Vater die Einstellung »The Show must go on« geerbt und fühlte sich trotz der Umstände seiner Arbeit verpflichtet. Es war aber wohl auch nicht seiner Aufmerksamkeit entgangen, dass er versuchte, ein Leben fest in dieser Welt zu verankern, während er genau wie ich wahrscheinlich dankbar war, dass sich ein anderes bald aus ihr lösen würde.
Danach lag ich eine ganze Weile wach. Boo, der
Weitere Kostenlose Bücher