Die Pestglocke
ist dir das schon aufgefallen?«
»Ja, ich habe versehentlich welches im Haus verschüttet.« Es hatte keinen Sinn, sie zu beunruhigen. »Wie hast du das von dem Gottesdienst erfahren?«
»Pfarrer Burke war im Lokalradio. Er hat auch von deiner Statue gesprochen.«
»Ach ja? Was hat er …«
Das Telefon läutete schon wieder. Peggy meldete sich und legte einmal mehr die Hand auf den Hörer. »Diesmal ist es eine Zeitung.«
Ich stand auf. »Ich verschwinde von hier«, sagte ich. »Du könntest etwas für mich erledigen, während ich weg bin. Würdest du versuchen, eine Nummer von Gayle in Teneriffa herauszufinden und sie anrufen? Sag ihr, ich würde sie gern um«, ich schaute auf meine Armbanduhr, »ein Uhr unserer Zeit sprechen. Es ist wichtig.«
Ich angelte mir meine Aktentasche, das Handy und die Wagenschlüssel und ging in einen weiteren prachtvollen Sommermorgen hinaus.
Ich lehnte mich an das Geländer und genoss eine meiner Lieblingsaussichten: eine ausgedehnte Wiese vor einem Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert namens Longwood House, die in sanften Wellen zum Boyne hin abfiel. Es war ein ganzes Landschaftsgemälde, in breiten Strichen aus Wiese und Heckenreihe, Gestrüpp und Fluss, See und Wald gemalt, aus dem hier und da eine Pergola oder ein steinerner Prachtbau herausschaute. Die Sonne goss ein Licht wie warmer Honig auf die Szenerie. Die Vögel in den Bäumen waren verstummt. Nur gelegentlich hörte ich eine Biene vorbeisummen.
Gegenüber von mir stand ein Eichentrio so dicht zusammen, dass es wie eine mächtige, bucklige Insel aus einem Meer aus Gras ragte. Dahinter waren einzelne Bäume wahllos über die Wiese verstreut. Erst eine Woche zuvor war die Rosskastanie von Tausenden goldener, rot gesprenkelter Kerzen bedeckt gewesen, die an jenem windigen Tag das Trugbild eines gemusterten Kleids erzeugt hatte, das sich um eine tanzende Dame aus dem 18. Jahrhundert blähte. Doch nun ging kein Wind, der ihren Behang bewegt hätte, nur ein Pollenschleier ließ die Umrisse aller Bäume auf der Wiese unscharf werden.
Lady Jane Tyrell war die anglo-irische Aristokratin, der das Verdienst für die Schöpfung dieser Parklandschaft zukam, die nun dem Staat gehörte und für die Öffentlichkeit zugänglich war. Hatte sie je daran gedacht, dass ihre Familie und sogar ihre gesellschaftliche Klasse irgendwann den Anspruch auf diesen Besitz aufgeben mussten? Wahrscheinlich nicht. Aber das spielte nun kaum eine Rolle. Ich fragte mich, wofür die Menschen von Castleboyne uns in zweihundert Jahren einmal danken würden.
Das ließ mich an meinen Vater denken. Er hatte oft gesagt, dass die Mitte des 20. Jahrhunderts erzielten Erfolge gegen ansteckende Krankheiten das großartigste Vermächtnis seien, das je eine Generation der Menschheit hinterlassen habe. Er selbst war als Folge der Tuberkulose vaterlos aufgewachsen; eine Schwester war von Polio verkrüppelt und eine andere mit sechzehn Jahren durch Typhus weißhaarig geworden. All das hatte sich durch medizinischen Fortschritt geändert, und doch waren bis zum Ende des Jahrhunderts neue bösartige Krankheiten aufgetaucht und einige der alten wie TBC mit neuer Kraft zurückgekehrt. Sosehr sich alles änderte, schien es doch auch immer gleich zu bleiben. Zeitgleich mit Computern, Internet und globaler Ökonomie bedrängten Hunger, Seuchen und religiöser Hass das dritte Jahrtausend, wie sie schon das Mittelalter bedrängt hatten.
Es war das Los meines Vaters, dass er eine gefährliche Kindheit überlebt hatte, um von einer unheilbaren Krankheit niedergedrückt zu werden, die mit dem Altern in Verbindung stand. Ich hatte ihn nun seit ein paar Wochen nicht gesehen. Ich schob es auf die Ausgrabung, aber im tiefsten Innern wusste ich, dass ich es hasste zu beobachten, wie sein Zustand immer noch schlimmer wurde, obwohl er schon genug gelitten hatte. Ich begriff nun, was die Leute meinten, wenn sie sagten, es sei in Ordnung, für eine glückliche Erlösung zu beten.
Beten … Für mich war es ein kurzer Moment, in dem ich alle meine Ängste zu einem Bündel zusammenraffte, und in Gedanken etwas sagte wie: Wenn es dich gibt, Gott, dann kläre das bitte jetzt für mich, und ich verspreche, beim nächsten Anlass komm ich nicht als Bittsteller. Aber dann vergaß ich es wieder.
Mir wurde klar, dass ich im Augenblick eine Menge zu klären hatte. Zum Beispiel fühlte ich eine bevorstehende Veränderung in meiner Beziehung zu Finian. Es war, als wäre eine Verwerfungslinie
Weitere Kostenlose Bücher