Die Pestglocke
dem Sarg. Wahrscheinlich denken Sie jetzt sofort, dass es sich um Mutter und Kind handelt, aber es ist viel bizarrer. Dieser Fingernagel war natürlich menschlich, und sie haben auch menschliche DNS gefunden. Aber das Haar, ob Sie es glauben oder nicht, stammte von einem Tier, höchstwahrscheinlich einem Hund. Und mit dieser Gänsehaut erzeugenden Nachricht sagt Dr. Frankenstein gute Nacht, oder besser guten Morgen.«
Gänsehaut? Mir drehte es eher den Magen um. Ein Hund zusammen mit den sterblichen Überresten eines Menschen in einem Sarg? Warum sollte das jemand tun? Ein Lieblingshaustier, ein Jagdhund, vielleicht?
Doch während ich mich anzog, fiel mir Finians Geschichte mit dem Höllenhund vor dem Friedhof der Magdalenerinnen ein, und ich muss zugeben, es lief mir tatsächlich kalt über den Rücken. Und ich war nicht zum ersten Mal fasziniert davon, wie durch Volksmärchen längst vergessene Informationen über unsere Vorfahren bis in die heutige Zeit transportiert werden.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ich Peggys Wagen vorfahren hörte. »Tut mir leid, ich bin zu spät dran«, sagte sie, als ich ins Büro hinüberging. »Ich bin in der Stadt herumgefahren und habe versucht, eine Zeitung aufzutreiben. Als ich endlich eine geöffnete Tankstelle fand, musste ich feststellen, dass natürlich keine Zeitungen geliefert wurden. Aber ich weiß, dass es in Ireland Today einen Artikel über die Versammlung von gestern Abend gibt. Darren Byrne war dort.«
»Die Versammlung? Was für eine Versammlung?«
»In der Stadthalle. Der Stadtrat hat sie einberufen, um über den Ausbruch zu diskutieren.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass sie eine abhalten.«
»Sie haben einen Lautsprecherwagen herumgeschickt, der es ankündigte. Du warst wahrscheinlich in Brookfield draußen, deshalb hast du nichts gehört.«
»Himmel, was haben sie sich dabei nur gedacht?
Wollten sie es mehr wie einen mittelalterlichen Pestausbruch aussehen lassen, indem sie einen Ausrufer durch die Stadt schicken? Sie hätten direkt mit mir Kontakt aufnehmen sollen, verdammt noch mal!«
»Sie haben es auch im Radio durchgesagt«, bemerkte Peggy schüchtern.
»Tut mir leid, dass ich dich angeblafft habe, Peggy. Es ist nur ein merkwürdiges Gefühl, dass so etwas stattgefunden hat, und ich wusste nicht das Geringste davon. Erzähl, was los war.«
»Die Emotionen gingen ganz schön hoch, das kann ich dir sagen. Hunderte von Leuten sind gekommen, und sie waren echt wütend darüber, wie die Stadt über Nacht abgeriegelt wurde. Die Vertreter der Stadtverwaltung und des Gesundheitsministeriums kamen kaum zu Wort, als sie ihre Entscheidung zu erklären versuchten, aber gerade, als sich alle beruhigt haben, sind sie mit einer Information herausgerückt. Darren Byrne fragte, ob Dr. Groot eine Autopsie am zweiten Opfer vorgenommen habe, und dieser Typ vom Gesundheitsministerium sagte Ja, und wahrscheinlich würden Polizeibeamte gerade jemanden aus Castleboyne befragen. Byrne verlangte zu wissen, um wen es sich handelte, aber das wollte der Ministeriumsmensch nicht verraten. Daraufhin hat die Menge getobt. Man drohte, die offiziellen Vertreter nicht aus der Halle zu lassen, ehe sie es sagten. Also teilten sie schließlich mit, dass es sich um eine nigerianische Familie handelte, bei der der kleine Bolton ein- und ausging.«
»Verdammt!«, sagte ich und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was für eine Dummheit, einer aufgebrachten Menge so etwas zu verraten, egal wie viel Angst die Behördenvertreter hatten. Schau dir die Folgen an – alles mit rassistischem Müll vollgeklebt.« Ich war auch auf Groot wütend. Ich nahm an, er hatte der Polizei erzählt, dass die Jungen mit dem Messer gespielt hatten, aber er hätte mich informieren können, dass er es vorhat.
»Ich gehe spazieren«, sagte ich abrupt. Das Gefühl, eingeschlossen zu sein, setzte mir gewaltig zu.
Ich nahm den Weg durch den Garten. Dort ging ein Tor am hinteren Ende auf ein Sträßchen hinaus, das mich zum Fluss führen würde.
Es wurde von säulenartigen Buchen gesäumt; deren Äste bildeten mit dem Laubwerk ein hohes, sich verzweigendes Dach und durchscheinende Wände, die die Sonne grün leuchten ließ, während das Licht an manchen Stellen wie durch eine Fensterscheibe einfiel und den Boden sprenkelte. Nicht zum ersten Mal dachte ich, dass es ein Anblick wie dieser gewesen sein musste, der die Architekten der großen gotischen Kathedralen zu ihren Bauten inspiriert hatte. Dann
Weitere Kostenlose Bücher