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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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eine Locke auf ihren Kragen herab. Er hatte kaum Zeit, die schlanke Gestalt zu betrachten, da drehte sie sich um, und das Licht fiel golden auf ihr Gesicht.
    »Guten Tag, Joseph«, sagte sie, er sah ein Leuchten in ihren Augen, und in zwei Sätzen war er bei ihr und schloss sie in die Arme. »Wie ist es möglich, dass du mir verzeihen kannst?«
    Sie lagen wieder in dem grünen Schlafzimmer, ein gutes Jahr nach dem ersten Mal. Die Nachmittagssonne schimmerte in den Fenstern und warf Lichtreflexe auf die Laken. Sie hatten kaum gesprochen, während sie einander hastig entkleideten, doch als sich ihre Blicke trafen, mussten sie lachen und hielten inne, um sich zu küssen.
    Sie taumelten ins Bett, ihre Körper fanden ihre eigene Zwiesprache, und ihre geflüsterten Liebesworte waren nichts als Gestammel. Erst als sie still in den Armen des anderen lagen, war die Zeit zum Reden gekommen.
    »Dir was verzeihen?«, fragte sie.
    »Dass ich dich nach Madeira habe reisen lassen. Dass ich nicht nachgekommen bin, weil ich zu stolz und wütend war.«
    »Ich verstehe. Ich weiß, was geschehen ist. Das Schwerste war, dass du nicht da warst, als ich wiederkam.«
    Seine Arme schlossen sich ein wenig fester um sie. »Ich habe mich so geschämt. Aber ich musste fahren. Man hat von mir erwartet, das ich handle.«
    »Ich weiß. Ich habe es geahnt. Aber ich war es leid, ein Mann zu sein. Ich wollte wieder Frau sein.«
    »Und warst du gut als Mann?«
    Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, und er spürte, dass sie lächelte. »Nicht besonders. Ich war gut darin, Aufmerksamkeit zu erregen. Wer genauer hinsah, schien mich zu durchschauen, aber das taten nicht viele. In der Menge war ich anonym.«
    Er schloss sie noch fester in die Arme und neigte den Kopf, um sie zu küssen. Er war heimgekehrt.
     
    Und doch war es nicht mehr wie früher. Während Cook mit der Resolution unterwegs war, fiel es Banks schwer, sich wieder ganz in London einzufinden. Es war, als sei ein Teil von ihm außerstande gewesen, von Bord und seiner Wege zu gehen. Er begann, weitere Reisen zu planen, nach Wales und nach Holland. Seine Karriere in London nahm einen Großteil seiner Zeit in Anspruch: Er musste seinen Einfluss in philosophischen Kreisen ausbauen und seinen Ruf bei der Royal Society festigen. Die spontanen Besuche in Richmond wurden seltener, und wenn sie zusammen waren, ergab es keinen Sinn mehr, dass die Zeit stillstand.
    Die Trennung hatte sie verändert. Ihre Gefühle für ihn hatten alles Unbändige verloren, und er nahm nun ein Zweifeln wahr, das vorher nicht da gewesen war. Nachts war sie nicht weniger zärtlich als früher, doch wenn er von der Zukunft sprach, glaubte er, ein Zögern in ihren Augen zu entdecken. Dann lachte er, nahm sie in die Arme und sagte, sie dürfe ihn nie mehr verlassen, er sei nur glücklich, wenn sie bei ihm sei - wahre und zugleich unwahre Worte.
    Als er sie fragte, wie sie die Zeit seiner Islandreise verbracht habe, antwortete sie achselzuckend: »Ich habe gemalt.«
    Zu Beginn des neuen Jahres wurde Richmond zu unpraktisch. Um sie in seiner Nähe zu haben, während er seine Arbeit fortsetzte, überredete er sie, nach London überzusiedeln. Mitten im Monat Januar mit seinen aufgeweichten Straßen bezog sie eine Wohnung in der Orchard Street. Man hörte dort die Rufe der Straßenhändler in der Oxford Street und das Geläut von fünfzig Kirchen, und bei Westwind glaubte sie mitunter, den Duft der offenen Felder wahrzunehmen. Die Wohnung war neu und fast herrschaftlich, und als sie die Räume zum ersten Mal sah, hatte sie auch zum ersten Mal das Gefühl, seine Geliebte zu sein. Sie hatte so großen Wert darauf gelegt, ihren Namen zu schützen, doch ihre Vorsicht erwies sich als unnötig: Sie hatte keinen Namen. Sie war Joseph Banks’ Geliebte. Die Lieferanten wussten es, die Frauen auf der Straße wussten es, und weder ihr Name noch ihre Vergangenheit interessierte irgendjemanden. Nach ihr würde eine andere Frau hier wohnen, ein anderer Mann würde sie besuchen, und auch für sie würde sich außer diesem Mann niemand weiter interessieren.
    Doch London bot auch Entschädigung. Joseph wuchs in sein neues Leben hinein. Sein Haus in der New Burlington Street wurde zu einem Treffpunkt der Londoner Denker und Philosophen, und seine Sammlung zog Menschen aus ganz Europa an. Von früh bis spät wurde dort geredet. Ideen strudelten um ihn herum wie die steigende Flut, eine Welle überrollte die vorhergehende und türmte sich über ihr auf.

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