Die Pflanzenmalerin
Hecken waren etwas zerzaust, und die Theaterplakate an der Wirtshaustür begannen sich zu lösen, sonst aber war alles gleich geblieben. Sie war durch Stürme gesegelt und hatte Orte gesehen, die niemand in ihrer Umgebung je zu Gesicht bekommen würde; und während sie fort gewesen war, hatte Richmond nichts anderes getan, als in der Sonne zu gedeihen. Verblüfft darüber, wie vertraut ihr alles war, ging sie, das Ufer meidend, den Hügel hinauf zu dem abseits gelegenen Haus, in dem Martha, der sie ihre Rückkehr angekündigt hatte, sie erwartete. Nichts an dem Wiedersehen war weiter bemerkenswert, doch ein zufälliger Zeuge hätte beobachtet, wie nach einem warmen Händedruck und einigen undeutlichen Worten die größere der beiden Frauen einen Brief hervorzog und ihn ihrer Gefährtin reichte, die ihn nach einer Weile öffnete und zu lesen begann.
»Meine Liebste«, las sie vor, »Dir dies zu schreiben schmerzt mich bitter. Ich hatte keine Wahl, als eine andere Reise anzutreten...« Sie brach ab. Einen Moment noch hielt sie den Brief in der Hand, dann faltete sie ihn zusammen und steckte ihn in die Tasche.
»Komm, Martha«, sagte sie, »der Brief kann warten. Was ich jetzt vor allem brauche, ist ein Bad. Wenn ich gewaschen bin und gegessen habe, gibt es viel zu besprechen.« Als sich die beiden Frauen zum Gehen wandten, stieg kein Mond über den Bäumen hinter ihnen auf, und kein Wind regte sich seufzend im Laub.
Ein halbes Jahr hörten sie nichts von Banks. In Island angekommen, genoss er die frische Augustluft, die körperliche Anstrengung und die unkomplizierte Weite eines leeren Landes. Im September bestieg er mit Solander die Hekla, und als er von dem Vulkan herabblickte und auf dem tiefblauen Schmelzwasser tief unten die Sonne blitzen sah, dachte er einen Moment daran, wie sehr sie diese Farben bewundert hätte. Ende September war es in Island schon sehr herbstlich, und wenn er über die baumlose Landschaft blickte, sah er mehr als einmal das Braun und Gold der heimatlichen Wälder vor sich. Von da war es, wenn er nicht Acht gab, nur ein kleiner Schritt zu dem Bild der rostroten Vorhänge in dem vom Feuerschein erhellten Schlafzimmer in Richmond. Der Oktober brachte das Ende der Expedition und führte ihn nach Schottland, wo er verweilen wollte. Es schreckte ihn nicht mehr, an sie zu denken, aber er tat es nun mit Bedauern, als wäre etwas unwiederbringlich dahin. Er hatte es nicht eilig, nach London zurückzukehren und von neuem zu sehen, welchen Schaden er dort angerichtet hatte.
Im November erfuhr sie, dass er sich in Edinburgh aufhielt. Ihre Haare waren nun wieder lang, die Skizzen und Zeichnungen aus Madeira koloriert. Noch immer schrieb er nicht, und wenn sie je an ihn dachte, so ließ dieser Gedanke ihre Hand weder zittern, noch lenkte er sie von der strengen Disziplin der Arbeit ab.
Anfang Dezember traf er in London ein und stellte zu seiner Freude fest, dass die Bitternis, die seine Abreise begleitet hatte, weitgehend vergessen war. Ein freundlicher Brief von Cook wartete auf ihn, Lord Sandwich sprach bei ihm vor, und sie betranken sich gemeinsam. Doch er machte keine Anstalten, ihr zu schreiben. Sie musste erfahren haben, dass er zurück war, sagte er sich. Ließ sie nichts von sich hören, würde er wissen, was er wissen musste. Schrieb sie, würde ihr Brief ihm sagen, wie sie zu ihm stand. Wenn sie keinen Groll hegte, würde er sie aufsuchen, sobald seine Geschäfte in London es erlaubten.
Nachdem er zwei Wochen nichts von ihr vernommen hatte, ließ er eines Morgens sein Pferd satteln und machte sich auf den Weg nach Richmond.
Eine dünne Schneedecke erinnerte ihn an denselben Ritt zu einer anderen Zeit; meist aber war er zu sehr in Gedanken, um die Schönheit ringsum zu beachten. Erst auf der letzten halben Meile nahm er seine Umgebung bewusst wahr, und etwas Vertrautes rührte ihn an. Ein ihm unbekanntes Mädchen öffnete ihm die Tür.
»Miss Brown ist zu Hause, Sir«, sagte sie. »Wenn Sie bitte hier warten wollen.«
Gleich darauf kam sie wieder.
»Miss Brown sagt, Sie möchten hinaufgehen, Sir. Sie malt gerade, Sir.«
Und so stieg er schweren Schrittes die Treppe hinauf und legte sich unterwegs zurecht, was er sagen würde. Ihre Tür war offen, der Raum von Sonnenlicht durchflutet. Sie stand mit dem Rücken zu ihm nahe dem Fenster, ganz auf das Bild konzentriert, an dem sie arbeitete. Sie trug ein grünes Kleid, und aus ihrem nur lose aufgesteckten braunen Haar fiel da und dort
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