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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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eine scherzhafte Anspielung auf einen Verehrer der Schwester gehalten. Und wenn es nicht so war? Ein junger Vulpe s. Ein junger Fuchs.
    Erst fand ich die Nummer nicht, dann fand ich das Telefon nicht. Zweimal verwählte ich mich. Doch als ich dann am anderen Ende der Leitung seine Stimme hörte, hätte ich fast die Faust in die Luft gestoßen.
    »Hallo? Bert? Hier ist John Fitzgerald, ich war kürzlich wegen Ihres Stammbaums bei Ihnen.« Im Hintergrund hörte man das knisternde Schluchzen eines Tenors, der mir irgendwie bekannt vorkam. »Es ist eine komische Frage, ich weiß«, fuhr ich in fliegender Hast fort, »aber ist Ihnen in den Archiven irgendwo mal der Name Martha Stamford begegnet?«
    Stille trat ein. Dann glaubte ich, ein leises Lachen zu hören.
    »Könnte man so sagen, ja.« Er sprach sehr betont, als amüsierte er sich über etwas. »Martha Stamford ist meine Mutter.«
     
     
     
    Der Juni war der Monat der Winde. Schaumkronen auf der Themse und auf den Wogen schwankende Schiffe. In Lincolnshire Überschwemmungen. Im Golf von Biscaya ein kleines Schiff, die Saffron , auf dem Weg nach Portsmouth, vom Kurs abgekommen und darum genötigt, sich dicht an der Küste zu halten. An Bord der Saffron , müde und seekrank, eine kleine Gestalt, die in Wind und Gischt hinausblickte und sich nach Hause sehnte. Doch der Sommer wollte sich nicht entfalten, und aus einer dreiwöchigen wurde eine vierwöchige Reise. Als sie in England eintraf, war er schon fort.
    Sie hatte sich die Rückkehr stets in hellen Farben ausgemalt: winkende Menschen in Sommerkleidern auf den Docks, Sonne auf den Dächern, weiße Segel und ein grünes Meer, das gegen die Kaimauern plätscherte. In Portsmouth aber ging sie unter grauen Wolken an Land, es regnete, und die Nacht brach herein. Die Stadt wirkte trostlos, die Straßen waren schmutzig, und niemand hieß sie willkommen. Schwankend stand sie auf festem Boden und spürte, wie die Dämmerung sie umschloss. Sie hatte ihre Kraft in Körnchen bemessen, wie Sand in einem Stundenglas, und nun war nichts mehr davon übrig. Und mehr noch: Sie hätte sich gewünscht, umarmt zu werden, ganz fest, schweigend, bedingungslos und ohne Fragen. Stattdessen stand sie unbeachtet im Regen und blickte in fremde, unbeteiligte Gesichter. Sie hatte ihm ihre Ankunft nicht angekündigt, doch obgleich sie wusste, dass er nicht da sein konnte, hielt sie nach ihm Ausschau.
    In dieser Nacht lag sie schlaflos in einem billigen Gasthaus und dachte an die Nächte in Revesby, die dem Tod ihres Vaters vorausgegangen waren, Nächte, in denen sie die Läden geöffnet und auf die vom Wind geschüttelten Bäume hinausgesehen hatte. Damals waren die Bäume Fragen für sie gewesen, keine Antworten. Manchmal nimmt man erst am Ende einer Reise Abschied.
     
    Er brach Anfang Juni auf, als der Wind sich so lange legte, dass die Sir Lawrence langsam aufs Meer hinaussegeln konnte. Die vorangegangenen vier Wochen hatte er entweder betrunken oder voller Scham verbracht, und an beidem gab er nun ihr die Schuld. Dass sie ihm vorausgeeilt war, hatte ihn in eine unmögliche Lage gebracht und ihn gezwungen, auf sein größtes Abenteuer zu verzichten. Wäre er mit Cook gereist, so sagte er sich, wäre alles gut gewesen, doch ihre Voreiligkeit hatte das verhindert. Es war unerträglich, und es war nicht sein Werk. Er musste in See stechen, wenn er seine Gefährten nicht enttäuschen wollte, er musste bleiben, wenn er die Geliebte nicht ein zweites Mal im Stich lassen wollte. Das alles stürzte ihn in Verwirrung, er fühlte sich elend, und es schien ihm, als sei die Vertrautheit des Winters in Richmond für immer fortgeweht. Zu trinken und zu vergessen war der leichtere Weg. Als der Wind es erlaubte, brachen sie nach Island auf.
    Der Wind war in gewisser Weise auch seine Rettung. Bis zum Kap Lizard und weiter auf der Fahrt durch die Irische See wütete er gegen die Sir Lawrence . Die Männer an Bord mussten sich auf das stampfende Schiff konzentrieren, und Banks, der große Weltumsegler, war hoffnungslos seekrank. Der Plan einer Landung auf der Isle of Man musste der rauen See wegen aufgegeben werden. Erst als sie sich den Hebriden näherten, besserte sich das Wetter, und Banks sah nach den dunkelsten Wochen seines Lebens die Sonne wieder scheinen.
     
    Sie erreichte Richmond im Abendlicht und fand alles unverändert vor. Während ihrer Abwesenheit hatte der Hochsommer in England Einzug gehalten. Das Getreide auf den Feldern stand höher, die

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