Die Pforten der Ewigkeit
wagen!«
Das fehlte noch: ein jeu-parti – ein Lied, das zwei Sänger gegeneinander sangen; einer sang eine Zeile, und der andere musste eine Antwortzeile darauf finden, die den ersten Gedanken weiterentwickelte und sich am besten auch noch darauf reimte. Manche Duellanten hatten schon ganze Abende mit ihren Stegreifballaden gefüllt, während die Zuhörer Trost im Wein suchten. Und das mit dem dummen Grünschnabel Hertwig von Staleberc? Das Bürschchen machte auch noch ein Gesicht, als könnte es sich vorstellen, darauf einzugehen, aber ein zweiter Blick in Graf Rudolfs Miene belehrte Staleberc offensichtlich eines Besseren. Er lehnte sich zurück und ignorierte die Aufforderung, indem er sich ein neues Stück Fleisch auftun ließ.
Rudolf fühlte die Blicke des Kaisers erneut auf sich ruhen. Er wandte Federico absichtlich den Rücken zu. Graf Rudolf hatte den Schutz des Hauses Hohenstaufen unter anderem deshalb akzeptiert, weil er es für schwach und abgehalftert hielt und überzeugt war, dass sein eigenes Geschlecht zur Führung des Reichs auserkoren war. Er hatte mit dem Kaiser sogar den Kirchenbann geteilt. Er hatte ihn in den Niedergang begleitet, anstatt seinen eigenen Namen zu Ruhm und Ehre zu führen. Wann kam endlich die Stunde der Belohnung dafür?
Als er hörte, dass der Kaiser ein Gespräch mit Riccardo de Montenero begann, musterte er ihn verstohlen. Da saß der Herr des Reichs, dünn und ausgemergelt, seine einstige kühne Schönheit vergangen in einem Leben aus Kampf und drei Wochen krampfartigen Darmentleerens. Rudolf hatte gehört, dass der Kaiser in seiner Kammer bereits sein Sterbegewand hatte bereitlegen lassen – eine graue Zisterzienserkutte. Ha! Gab es denn keinen Spiegel in der Schlafkammer des Kaisers, in dem er hätte sehen können, wie durchsichtig er bereits war? Wenn Rudolf etwas an Kaiser Federico geschätzt hatte, dann seinen Pragmatismus. Er konnte nicht in den Spiegel gesehen haben, sonst hätte er sich nicht hierhin gesetzt und alle glauben gemacht, das Leben würde weitergehen.
Hoffentlich hat er die Zisterzienserkutte noch nicht wieder weglegen lassen , dachte Rudolf gehässig. Er sah das graue Kleidungsstück vor Augen und verzog den Mund. Zisterzienser. Von all den Orden, die in Kutten und Tonsuren und entweder im Schlamm der Schweineställe, die ihre Klöster waren, oder im Saus und Braus ihrer Abteien die göttliche Vollendung suchten, waren dem Kaiser ausgerechnet die Zisterzienser ans Herz gewachsen. Weil sie die Einzigen gewesen waren, die in den grausamen Feldzügen der Kirche gegen die südfranzösischen Ketzer, denen heimlich das Herz des Kaisers in den letzten Jahren gehört hatte, verhältnismäßig vernünftig und milde vorgegangen waren? Rudolf wusste es nicht. Er wusste nur, dass der Krieg gegen die Albigenser oder Katharer (die Reinen! Pah!) tatsächlich mehr als grausam gewesen war; wusste es aus allererster Hand, sozusagen – dies war ein Geheimnis, das er dem Kaiser nie verraten hatte.
Und Rudolf wusste noch etwas. Er hasste keinen hier am Tisch mit solcher Inbrunst wie Kaiser Federico, Friedrich II. von Hohenstaufen, den Ketzer, den Antichrist, das Staunen der Welt – auch wenn dieser den morgigen Abend nicht mehr erleben würde.
2.
ZISTERZIENSERINNENABTEI
SANKT MARIA UND THEODOR, PAPINBERC
Schwester Elsbeth rannte den Gang entlang, der zum Hospiz führte. In ihrem Ohr hallte das Gespräch, das sie soeben mit Schwester Lucardis geführt hatte, der Äbtissin des Zisterzienserinnenkonvents Sankt Maria und Theodor in Papinberc.
»Aber warum ich, ehrwürdige Mutter?«
»Weil Bischof Heinrich eine starke Abneigung gegen unsere Schwester infirmaria hat, seit ihr Vater damals in seine Entführung und Freilassung gegen ein horrendes Lösegeld verwickelt war. Wenn er bei seiner jährlichen Besichtigung merkt, dass ich ihr zwischenzeitlich die Leitung des Hospizes anvertraut habe, können wir die Hoffnung begraben, dass er seine Geldzuwendungen erhöht.«
»Warum hast du ihr dann diese Stellung gegeben?«
»Weil sie die Beste ist.«
»Und warum sollen meine Novizinnen und ich dann den Bischof im Hospiz herumführen, ehrwürdige Mutter?«
»Weil du dafür die Beste bist.«
So weit war das Gespräch gut verlaufen. Elsbeth hatte sich sogar beinahe geschmeichelt gefühlt. Sie war jung für eine Novizenmeisterin – noch keine zwanzig Jahre alt. Aber das gesamte Kloster Sankt Maria und Theodor war ein sehr junges Kloster. Lucardis, die
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