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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Zeitschrift Science and Spirit . In einem Wort lautet seine Antwort »Über-Verpflichtung«. Und es ist ein erfrischender und sehr notwendiger Gegenentwurf zum Erbsenzählen.
    Wir haben schon mehrfach gesagt, dass Menschen Zeitbinder sind. Wir richten unser Leben nicht nur nach dem ein, was momentan geschieht, sondern nach dem, wovon wir glauben, dass es in Zukunft geschehen wird. Das ermöglicht es uns, uns auf eine künftige Tat zu verpflichten. »Wenn du krank wirst, werde ich für dich sorgen.« – »Wenn ein Feind dich angreift, werde ich dir zu Hilfe kommen.« Verpflichtungsstrategien ändern das Erscheinungsbild der »Konkurrenz« völlig. Ein Beispiel ist die Strategie der »garantierten gegenseitigen Vernichtung« als Abschreckung gegen einen Atomkrieg. »Wenn du mich mit Kernwaffen angreifst, werde ich meine einsetzen, um dein Land vollkommen zu zerstören.« Selbst wenn ein Land viel mehr Kernwaffen besitzt, was nach der Erbsenzähler-Logik bedeuten würde, dass es »gewinnt«, bedeutet die Verpflichtungsstrategie, dass es nicht gewinnen kann.
    Wenn zwei Menschen, Stämme oder Völker einen Pakt schließen und vereinbaren, einander zu unterstützen, werden sie beide gestärkt, und ihre Überlebensaussichten steigen. (Vorausgesetzt, dass es ein vernünftiger Pakt ist. Wir überlassen es Ihnen, Szenarios zu erfinden, wo das soeben Gesagte falsch ist.) Schön und gut, doch kann man sich darauf verlassen, dass der andere sich an die Vereinbarung halten wird? Wir haben einige ziemlich wirksame Methoden entwickelt, um zu entscheiden, ob wir jemandem trauen sollten oder nicht. Auf der einfachsten Ebene beobachten wir, was derjenige tut, und vergleichen es mit dem, was er sagt. Wir können auch versuchen herauszufinden, wie sie sich früher unter ähnlichen Umständen verhalten haben. Solange wir solche Entscheidungen meistens richtig treffen, bieten sie einen wesentlichen Überlebensvorteil. Sie verbessern unseren Erfolg vor dem Hintergrund von allem Übrigen. Der Vergleich mit anderen ist unwesentlich.
    Aus der Sicht des Erbsenzählers ist die »richtige« Strategie unter solchen Umständen, zu zählen, wie viele Erbsen man bekommt, wenn man seiner Verpflichtung nachkommt, diese mit der Anzahl zu vergleichen, die Betrug einbringt, und zu schauen, welcher Haufen Erbsen größer ist. Aus Nesses Sicht läuft das alles nicht auf einen Haufen Erbsen hinaus. Die ganze Kalkulation kann mit der Strategie der Über-Verpflichtung auf einen Schlag umgangen werden. »Vergiss die Erbsen: Ich garantiere, dass ich meine Pflicht dir gegenüber tue, egal was passiert. Und du kannst mir vertrauen, denn ich werde dir beweisen und jeden Tag unseres Lebens von neuem beweisen, dass ich in solchem Grade dir verpflichtet bin.« Über-Verpflichtung nimmt den Erbsenzählern die Argumente aus der Hand. Während sie versuchen, 142 Erbsen mit 143 zu vergleichen, hat die Über-Verpflichtung sie hinweggefegt.
    Nesse äußert die Ansicht, dass solche Strategien eine entscheidende Auswirkung auf die Formung unser Extelligenz hatten (obwohl er dieses Wort nicht verwendet):
    Verpflichtungsstrategien bringen Komplexitäten hervor, die die menschliche Intelligenz geformt haben. Darum sind menschliche Psychologie und Beziehungen so schwer auszuloten. Vielleicht wird ein besseres Verständnis für die tiefen Wurzeln der Verpflichtung die Beziehungen zwischen Verstand und Gefühl sowie zwischen Biologie und Glaube erhellen.
    Oder, anders gesagt: Vielleicht ist es das, was uns den Neandertalern überlegen machte. Es dürfte freilich schwer sein, eine wissenschaftliche Untersuchung für diese Annahme zu finden.
    Wenn Menschen sich auf diese Weise über-verpflichtet verhalten, nennen wir es »Liebe«. Zur Liebe gehört natürlich weit mehr als das eben umrissene einfache Szenario, doch eine Eigenschaft teilen beide: Liebe zählt nicht, was es kostet. Sie kümmert sich nicht darum, wer die meisten Erbsen bekommt.* [* Altruismus, Zusammenarbeit und Liebe unter Menschen sind nicht die einzigen Beispiele für evolutionäre Über-Verpflichtung – wie der Bibliothekar sehr wohl weiß. Eine Banane eignet sich viel besser dazu, von einem Orang-Utan gegessen zu werden, als sie muss. Das übrige Früchtereich kommt dem nicht nahe. Was andere Früchte wie die Tomate davon haben, ist, dass die Samen vom Tier wieder ausgeschieden und verteilt werden, mitsamt einer Beigabe von Dünger. Eine erbsenzählende Tomate könnte das Niveau ihrer Brauchbarkeit vermindern

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