Die Philosophen der Rundwelt
fehlt.
Einfach göttlich ist die Geschichte von einem Gott, der eher zu den größeren gehört, dem Großen Gott Om, der sich in der Zitadelle im Herzen der Stadt Kom in den Ländern zwischen den Wüsten von Klatsch und den Dschungeln des Wiewunderlandes einem Mönchsnovizen namens Brutha manifestiert.
Brutha hat zur Religion eine sehr persönliche Haltung. Er richtet sein Leben nach ihr aus. Im Gegensatz dazu glaubt Diakon Vorbis, die Rolle der Religion bestehe darin, das Leben aller anderen Leute nach ihr auszurichten. Vorbis ist das Oberhaupt der Quisition, dessen Rolle es ist, dass er »sich um jene Dinge kümmert, die erledigt werden müssen« und »mit denen andere lieber nichts zu tun haben möchten«. Niemand fällt Vorbis jemals ins Wort, um zu fragen, woran er gerade denkt, denn alle sind starr vor Angst, die Antwort könnte »An dich« lauten.
Die Manifestation des Großen Gottes erfolgt in Gestalt einer Schildkröte. Brutha hat Mühe, das zu glauben:
Ich habe den Großen Gott Om gesehen … Er erscheint nicht als Schildkröte. Stattdessen wählt er die Gestalt eines Adlers oder Löwen, vielleicht auch die eines Stiers. Im Großen Tempel steht eine Statue. Sie ist elf Ellen hoch und besteht aus Bronze und so. Zerstampft Ungläubige unter sich. Eine Schildkröte kann keinen Ungläubigen unter sich zerstampfen.
Oms Macht ist wegen Mangels an Glauben geschwunden. Er erprobt seine Stärke, indem er im Stillen einen Käfer verflucht, doch es bewirkt nichts, und der Käfer krabbelt ungerührt weiter. Er verflucht eine Melone und ihre Nachkommen bis ins achtzehnte Glied, doch ohne sichtbare Wirkung. Er lässt Furunkel und eitrige Geschwüre über sie kommen, doch sie tut nichts, als dazuliegen und vor sich hin zu reifen. Er gelobt, wenn er den ihm zustehenden Zustand wiedererlangen würde, so würden es die Stämme der Käfer und Melonen bereuen, nicht reagiert zu haben. Denn auf der Scheibenwelt wird die Größe eines Gottes von Stärke und Menge des Glaubens an ihn (oder sie oder es) festgelegt. Oms Kirche ist so korrupt und mächtig geworden, dass der furchtsame Glaube der einfachen Menschen auf die Kirche selbst übertragen wurde – es ist sehr leicht, an ein rot glühendes Stück Eisen zu glauben –, und nur Brutha, die einfältige Seele, glaubt noch wirklich. Kein Gott stirbt jemals, denn es gibt immer noch ein winziges Eckchen Glaube irgendwo auf der Welt, aber eine Schildkröte ist so ziemlich das Äußerste, wie tief man sinken kann.
Brutha wird der 8. Prophet von Om werden. (Seine Großmutter hätte es zwei Generationen früher schaffen können, doch sie war eine Frau, und der narrative Imperativ verbietet Prophetinnen.) Vorbis’ Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass alle Omnianer den Lehren des Großen Gottes Om treu bleiben, will sagen, dass sie tun, was Vorbis sie heißt. Die Anwesenheit des Gottes selbst auf der Scheibenwelt, die Änderungen in all den alten Lehren bewirkt und überhaupt nur Scherereien bereitet, schmeckt Vorbis nicht besonders. Ebenso wenig die Anwesenheit eines echten Propheten. Vorbis sieht sich vor dem spirituellen Dilemma des Inquisitors und löst es in der altehrwürdigen Weise der spanischen Inquisition (was im Grunde bedeutet, sich zu sagen, dass Menschen zu foltern in Ordnung ist, da es ja auf lange Sicht zu ihrem eigenen Besten geschieht).
Brutha hat eine viel einfachere Vorstellung vom Omnianismus: Es ist etwas, wonach Individuen ihr Leben ausrichten sollen. Vorbis zeigt Brutha ein neues Instrument, das er hat anfertigen lassen: eine eiserne Schildkröte, auf der ein Mann oder eine Frau gefesselt werden kann und die ein Feuerloch enthält. Die Zeit, die das Eisen braucht, um heiß zu werden, gibt einem reichlich Gelegenheit, über seine Ketzereien nachzudenken. In einem Anflug von Prophetie erkennt Brutha, dass er selbst das erste Opfer sein wird. Und tatsächlich findet er sich im Lauf der Zeit daran angekettet, und es wird unangenehm warm, während sich Vorbis an seinem Anblick weidet. Dann greift der Große Gott Om ein, den ein Adler aus seinen Krallen fallen lässt.
Einige Personen, die Vorbis aufmerksam beobachteten, meinten später, dass sich der Gesichtsausdruck des Diakons auf eine subtile Weise verändert hatte, bevor zwei Pfund Schildkröte mit einer Geschwindigkeit von drei Metern pro Sekunde gegen seine Stirn prallten.
Der Vorgang kam einer Offenbarung gleich.
Und solche Offenbarungen bleiben nicht ohne Wirkung auf die Zuschauer. Sie sorgen
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